- Politik
- »Tristan und Isolde« Inszenierung von Harry Kupfer an der Berliner Staatsoper
Der Schatten des trauernden Engels
Eine schwarz gekleidete bürgerliche Gesellschaft formiert sich im Hintergrund der Bühne. Das erste Mal erscheinen die Gespenster, wenn König Marke Tristan empfängt, der ihm seine Königin heim nach Kornwall bringt. Noch einmal marschieren die Mensch gewor denen Moralbegriffe auf, wenn der Ehebruch im Königshause ruchbar geworden ist. Dieses düstere Bild würde genügen, um zu wissen, worauf es in Harry Kupfers Inszenierung von «Tristan und Isolde» an der Berliner Staatsoper hinaus will. Das weitaus stärkere Zeichen hat Hans Schavernoch jedoch bühnenbeherrschend in den Vordergrund gebaut. Ein trauernder Engel liegt nach vorn gekippt, zum Teil in der Erde versunken, zugeweht, am Rande eines alten Friedhofs. Grabsteine markieren den Ort. Der gefallene Engel ist alleiniger Spielort; unter seinem Flügel finden Tristan und Isolde ihr Versteck, auf seinem Rücken sitzend, schaut der Hirte nach Isoldes Schiff aus, auf seinen Flügel gebettet fiebert Tristan dem Tod entgegen. Kupfer stellt den großen Liebenden, Tristan und Isolde, ein schlechtes Zeugnis aus. Tristan hat seinen Liebesverrat schon in der Vorgeschichte begangen, als er Isoldes Verlobten erschlug, sich bei ihr verwundet einschlich, sie nach der Heilung verließ und doch bei sich haben musste. Die von ihm Geliebte mit seinem Herrn und König Marke zu verkuppeln, war der miese Kompromiss. Als Isoldes Racheplan fehlschlug, weil Brangäne in ihrer Bedrängnis den Todes- gegen den Liebestrank austauschte, lässt auch sie sich in die unheilvoll-banale Dreiecksgeschichte ein. Wenn Tristan, Siegfried Jerusalem, erstmals die Bühne betritt, er zählen bereits der Gang, der Rücken sein verklemmtes Unglück. Deutlicher kann Körpersprache nicht sein. Nicht einmal die Verwandlung durch den Liebestrank löst ihm die Glieder. Er hockt neben der gleichfalls erstarrten Isolde und beide sind unfähig, anzunehmen, was mit ihnen geschieht. Auch später ist von liebendem Überschwang wenig zu sehen. Im nachtdunklen Liebesduett des zweiten Aktes finden Tristan und Isolde zögernd und bar jeder lustvollen Aufregung zueinander, am Schluss kommt sie zu spät, ihn liebend auch nur zu begrüßen. Isolde zögert, sich dem Sterbenden zu nähern, beide berühren einander nicht mehr.
Kupfer ließ Tristan im für jeden Tenor mörderischen 3. Akt nach langer langer Steigerung wütend mit seinem Schicksal hadern. Seinen Fluch über den Liebestrank darf er schreien. So stand Siegfried Jerusalem diese monströse Strecke ekstatischen Gesangs glanzvoll durch, fast manisch angetrieben von der Aktion, die Kupfer ihm abverlangte, gestützt und getragen auch von Daniel Barenboim und dem Orchester. Jerusalem- der gestern 60 Jahre alt geworden ist - hatte sich die Sympathie des Publikums und wohl auch die seiner fairen Bühnenpartner(in) glänzend ersungen.
Deborah Polaski, die stimmgewaltige Isolde, hat sich im Verlauf des Abends ebenfalls gesteigert. Ihr kühles Timbre hat mit den Jahren an Intensität des Ausdrucks gewonnen, auch in den Möglichkeiten dynamischer Abstufungen. Aus der Fülle vokalen Potenzials heraus sang sie den «Liebestod» und ließ damit nur wenige Wünsche unerfüllt. Die sie liebende Brangäne war Rosemarie Lang mit wunderbarer Beständigkeit ihres unverwechselbaren stimmlichen Wohllauts. Andreas Schmidt gab als Kurwenal den ergebenen Gefährten Tristans, stimmlich ohne Fehl und Tadel, als Figur wohl nicht von Kupfers Liebe getragen. Daniel Barenboim liebt «Tristan und Isolde» offensichtlich. Sein Ziel war, das Soghafte, Berauschende, nächtlich Unkontrollierte hörbar zu machen. Weniger die kammermusikalische Analyse der Partitur lag ihm im Sinn als vielmehr die ständig perfekte Klangmischung, die Verschmelzung der Stimmen. Barenboim disponierte in großen Steigerungen, Spannungen, Lösungen, ohne sich im Aktivismus kleiner Höhepunkte und Strudel im Fluss des Geschehens irritieren zu lassen. In kluger Zusammenar beit mit seinem Regisseur gestaltete auch er die dunklen Seiten und Abgründe mit besonders beklemmender Intensität.
Doch auch dieser schwarze «Tristan» lebt nicht ohne Liebe. Mit dem Auftritt König Markes (Rene Pape) widerfuhr der Inszenierung ihr magischer Moment. Marke ist bei Harry Kupfer der große Liebende; woher käme sonst die beispiellose Über wältigung in seiner Klage um Tristans Verrat. Die untreue Ehefrau würdigt Mar ke keines Blickes, sie ist ihm Nebensache. Markes Herz und Seele, sein Eros gehören Tristan. Kupfer stellt diese Männerliebe frei von exhibitionistischen Peinlichkeiten dar, als Momentaufnahme eines gebrochenen Herzens. Pape sang männlich beherrscht, kraftvoll und hinreißend schön - er ließ die Liebe sich aussingen und sättigen - anders gewiss, als Wagner sich das vorstellte. Nächste Vorstellung: 24.4.
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