Die Bonner Afghanistan-Konferenz wird nach Auffassung der USA nur eine untergeordnete Rolle spielen. Entscheidend seien die »facts on the ground«.
Da die Taleban nach wie vor 20 Prozent der Provinzen Kandahar und Kundus kontrollieren, da der von den USA bestimmte Krieg noch lange nicht vorbei ist, und da die Kriegsherren der »Nordallianz« inzwischen die Pfründe unter sich verteilen, werde die Zukunft Afghanistans vor Ort entschieden, entsprechend dem dortigen Kräfteverhältnis - und nicht in Arbeitsgruppen am Rhein. So die interne Washingtoner Sicht auf die Dinge. Auch der Afghanistan-Sondergesandte James Dobbins wird nicht müde zu wiederholen, dass es bei den Anti-Taleban-Fraktionen »ein hohes Maß an Misstrauen und Furcht« gebe. Dennoch zeigt er sich nach außen optimistisch: Er glaube, dass ein umfassendes und den Großteil der verschiedenen Interessen vertretendes Regierungssystem vereinbart werden kann. Schließlich gingen die Sichten der Fraktionen »weniger auseinander als erwartet«. Aber Priorität scheint eine möglichst viele Seiten befriedigende Lösung für die USA-Regierung nicht zu haben. Vielmehr steht die Fortführung des »Krieges gegen den Terror« im Vordergrund. Erneut wurden zusätzliche Spezialtruppen in Afghanistan eingesetzt. Pentagon-Berichten zufolge haben sie begonnen, in mutmaßliche Bunker und Unterschlüpfe Osama bin Ladens und seines Al-Qaida-Netzwerks vorzustoßen.
Während die meisten großen Zeitungen wegen des langen Thanksgiving-Wochen-
endes ihre Afghanistan-Berichterstattung zurückschraubten, befasste sich der Bostoner »Christian Science Monitor« ausführlich mit dem Krieg. Der Zeitung zufolge stehen die USA nun vor drei Herausforderungen. Zum einen stelle die »Nordal-
lianz« ein Problem dar. Deren Kriegsherren hätten einer Teilnahme an der Bonner Konferenz zwar zugestimmt, ignorierten aber Aufforderungen, sich zurückzuhalten. Nach der Niederschlagung der Taleban stehe »mit größter Wahrscheinlichkeit ein neuer Krieg bevor«, so die Zeitung. Die USA könnten das Problem durch Druck auf Präsident Wladimir Putin lösen, der die Nordallianz als »russisches Projekt« betreibe, um »russische Hoffnungen auf die Kontrolle Afghanistans wiederzubeleben«. In einem Akt der Naivität hätten die USA Putins »Trojanisches Pferd« nach Kabul vorstoßen lassen, ähnlich wie beim Einzug der Moskauer Armee in Pristina während des Kosovo-Krieges. Die USA müssten jetzt Putin zwingen, Rabbani aus Kabul zu verweisen, so der »Monitor«.
Eine zweite Herausforderung sieht das Blatt in Vorschlägen, wie sie Bundesaußenminister Josef Fischer und Powell-Vize Richard Armitage machen: eine dezentralisierte Regierung in Afghanistan. Die Realität spreche dagegen. Dadurch würden unklare und nicht akzeptierte Grenzen sowie das Warlord-System stabilisiert. Die USA müssten stattdessen auf die Etablierung einer Zentralregierung pochen. Und schließlich stehe die Frage nach dem wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes auf der Tagesordnung. Von einem Marshall-Plan für Afghanistan ist die Rede, und Kongressabgeordnete fordern von der USA-Regierung den Wiederaufbau der dortigen Infrastruktur. Doch wem sollen neue Straßen nützen, fragt die Zeitung, wenn es niemanden gibt, der sie benutzen könnte? Das Hauptproblem sei die Armut, und ein internationaler und USA-Wiederaufbauplan müsse die gesamte Region Zentralasien umspannen.
Dass es auf Grund der wirtschaftlichen Verflechtungen soweit nicht kommen wird, ließ die »Washington Post« in einem Porträt des wichtigsten Afghanistan-Beraters des Weißen Hauses, Zalmay Khalizad, durchklingen. Der in Afghanistan geborene Mann machte bereits Anfang der 80er Jahre unter Präsident Reagan erfolgreiche Lobbyarbeit für die massive Bewaffnung der antisowjetischen Mudschahedin mit »Stinger«-Raketen. Vor vier Jahren plädierte er in einem »Post«-Artikel für die Anerkennung der ihm persönlich bekannten Taleban durch die USA. Heute betreibt das Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats das Gegenteil. Aber eines blieb konstant: Er berät die USA-Ölfirma »Unocal«, die in Afghanistan und Umgebung seit Jahren das große Geld wittert und dafür viel Geld investiert - damals wie heute.
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