Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Niemals vergessen, dass in Dessau Zyklon B hergestellt wurde

  • Lesedauer: 4 Min.

Wer Dessau hört, denkt meist zuerst an Bauhaus oder Junkers. Dass in der Stadt das zur millionenfachen Menschenvernichtung von den deutschen Faschisten angewendete Giftgas Zyklon B hergestellt wurde, ist dagegen kaum bekannt - weder den Dessauer Bürgerinnen noch den Besucherinnen.

Damit sich das ändert, arbeitet seit über drei Jahren die Forschungsgruppe Zyklon B an der Erstellung einer Broschüre sowie der Errichtung eines Mahn- und Gedenk punktes inmitten der Stadt. Die ausschließlich ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Forschungsgruppe wälzten Berge an Literatur und Gerichtsakten, setzten sich mit Archiven, Historikerinnen, Ver bänden und Vereinen, Mahn- und Gedenkstätten im In- und Ausland sowie anderen Forschungsgruppen in Verbindung. Als schwierig erwies es sich, Zeuginnen in Dessau zu finden, die über die Produktion des Blausäurederivats in der Zuckerraffinerie und andere Fakten, die direkt mit dem Standort Dessau in Verbbindung stehen, berichten können. Einerseits sind viele Zeitzeuginnen bereits verstorben,- andererseits wird über das Thema, wie übrigens zu DDR-Zeiten auch, lieber geschwiegen. Auch eine Sichtung der Archive, die sich in den Nachfolgebetrieben befinden, wurde bisher von diesen nich‹t er möglicht.

Mittlerweile ist die Arbeit jedoch fortgeschritten, und es liegen gute Forschungsergebnisse vor, so dass sich die Gruppe mit der Forderung um ein politisches Bekenntnis mit dem Bau des Mahn- und Gedenkpunktes an die politischen Parteien sowie die Stadtverwaltung wandte. Der Mahn- und Gedenkpunkt soll nach Vor Stellung der Gruppe in Form einer großen Dose im Stadtpark, einem zentral gelegenen, von Bewohnerinnen und Touristinnen gleichermaßen gut frequentierten Ort, neben einem recht anonymen Denkmal für die Opfer des Faschismus, aufgestellt werden. An der Stele sollen Tafeln mit der Nennung der mit dem Giftgas Ermordeten, eine Karte mit den Konzentrationslagern, in welchen das Zyklon B zur direkten Menschenvernichtung angewendet wur de, eine Skizze über die Lage des Produk tionsstandortes in Dessau sowie ein kur zer erläuternder Text angebracht werden. Vor kurzem erhielt die Gruppe endlich eine Einladung in den Kulturausschuss der Stadt, deren Mitgliedern sie vorher ein recht umfangreiches Informationsmaterial zukommen ließ. Leider kam es im Ausschuss zu keinerlei politischem Bekenntnis, obgleich die Parteien bereits vor Monaten über das Projekt informiert worden waren. Bemängelt wurde von Seiten der CDU lediglich der im Informationstext enthaltene Satz «Der Tod kam aus Dessau», weil dieser der Stadt und ihrem Ansehen schaden könnte. Besser, so meinte sie, wäre doch «Der Tod kam auch aus Dessau», was geradezu absurd ist, wenn man bedenkt, dass fast das gesamte Zyklon B in der Fabrik in Dessau hergestellt wurde.

Ein FDP-Mann verharmloste die Taten der Faschisten gar, indem er meinte, dass die Herstellung von Kriegsmaterialien und die von Massenvernichtungsmitteln unterschiedlich zu bewerten wären. Und außerdem seien damals alle zum Mitmachen gezwungen gewesen. Das sei eben so gewesen, und Deutschland habe sich immerhin im Krieg befunden. Womit dieser «Sensible» auch sämtliche antifaschistische Widerstandsarbeit von damals, aber auch von heute negierte.

Der stellvertretende Ausschussvorsitzende beendete den kurzen Disput mit der Bemerkung, dass die vorliegende Arbeit von Fachleuten als sehr gut bewertet wor den sei. Ansonsten äußerte sich kein Ausschussmitglied dazu, ob das Projekt entstehen soll und wenn ja, wo und in welcher Form. Auch die Vertreterin der PDS schwieg, was die Leute der Forschungsgruppe besonders schockierte. Die For schungsgruppe jedenfalls hält am Standort des Mahn- und Gedenkpunktes und dem Textteil fest: «Mahnung und Erinnerung. Der Tod kam aus Dessau. In der Dessauer Zuckerraffinerie wurde im Auftrage der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung das Giftgas Zvklon B produziert. Damit ermordeten die deutschen Faschisten in den Konzentrationslagern Auschwitz, Majdanek, Sachsenhausen, Ravensbrück, Stutthof, Mauthausen und Neuengamme in den Jahren 1941 1945 Millionen Menschen aus ganz Europa, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene, politische und andere Gegnerinnen und Gegner.» Damit soll sich die Stadt zu ihrer - auch dieser - Geschichte bekennen. Der Gedenkpunkt soll gleichzeitig aufklären, erinnern und mahnen, was angesichts steigender rechtsextremer politischer Tendenzen besonders wichtig ist.

Antje Tietz 06844 Dessau

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.