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Hat sich das BSW verzockt?

Das offene Befürworten der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyls könnte die Wagenknecht-Partei Stimmen kosten

Sahra Wagenknecht, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende des BSW, und ihr Mann Oskar Lafontaine am Montagabend beim Auftakt der BSW-Wahlkampftour in München
Sahra Wagenknecht, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende des BSW, und ihr Mann Oskar Lafontaine am Montagabend beim Auftakt der BSW-Wahlkampftour in München

Spätestens seit ihrem Austritt aus der Linken fordert Sahra Wagenknecht mit Vehemenz eine rigide Asylpolitik nach dänischem Vorbild. Insbesondere die Streichung von Sozialleistungen für abgelehnte Asylbewerber, die nach ihrer Lesart eben unberechtigt in Deutschland leben, ist ihr wichtig. Dafür und für konsequentere Abschiebungen plädierte sie bereits im Herbst 2023 in der ZDF-Sendung Markus Lanz. Und immer wieder erklärte die BSW-Chefin und -Gründerin die drastischen Verschärfungen des Asylrechts durch die Ampel-Koalition für völlig unzureichend.

Demgegenüber verschlossen viele Ex-Linke die Augen, die dem BSW bei den Landtagswahlen im vergangenen Herbst ihre Stimme gaben. Oder sie votierten trotzdem für die Partei wegen deren konsequenter Haltung in der Friedensfrage.

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Doch spätestens das Abstimmungsverhalten der BSW-Fraktion im Bundestag in der vergangenen Woche scheint für viele, die der Partei bislang mit Wohlwollen begegneten, eine Art Weckruf gewesen zu sein. Manchem wurde bewusst, dass das BSW für eine faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl votierte, weil es die Forderung der CDU unterstützte, alle an deutschen Grenzen ohne gültige Einreisedokumente Aufgegriffenen zurückzuweisen, auch, wenn sie um Asyl ersuchen.

Gedeckt ist dieses Vorgehen zwar nicht vom EU-Recht, aber vom Grundgesetz, das der Bundestag 1993 dahingehend änderte, dass nur noch ein Recht auf Asyl hat, wer nicht über einen sicheren Drittstaat eingereist ist. Deshalb erhalten heute lediglich ein bis zwei Prozent aller Antragsteller Asyl nach Artikel 16 des Grundgesetzes.

Das BSW enthielt sich vergangene Woche beim »Fünf-Punkte-Plan« der Unionsfraktion für »sofortige, umfassende Maßnahmen zur Beendigung der illegalen Migration«, aber nicht, weil man diese für rechtswidrig und falsch hält, sondern weil man etwa die von CDU und CSU verlangten dauerhaften und umfassenden Grenzkontrollen nicht für umsetzbar hält. Am Freitag stimmte das BSW dann mit der AfD für einen Gesetzentwurf der Union, das »Zustrombegrenzungsgesetz«. Darin sind unter anderem die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte und Vollmachten der Bundespolizei für Haftbefehle gegen Geflüchtete festgeschrieben. Beides wird von Fachleuten als verfassungswidrig eingestuft.

Dass sich das BSW mit seiner rechten Positionierung in der Asylpolitik verzockt haben könnte, zeigen seine aktuellen Umfragewerte, die zuletzt mehrfach unter die Fünf-Prozent-Hürde rutschten. Am Montagabend startete Wagenknecht gleichwohl auf dem Münchner Marienplatz unter dem Jubel von 2000 Besuchern in die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs und wetterte in gewohnter Manier gegen die »alten Parteien« und ihre gescheiterte Wirtschafts- und Asylpolitik. Wer dagegen die anderen Parteien wähle, der wolle, dass die AfD 2029 das Kanzleramt übernehme, mahnte die Politikerin.

Für ein wenig Nervosität im BSW angesichts der Umfragewerte sprechen vermeherte Attacken gegen Linke-Politiker in den letzten Tagen. So arbeiteten sich Wagenknecht, die Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali und der Europaabgeordnete Fabio De Masi an einer »Bild«-Schlagzeile ab, der zufolge Linke-Ko-Chef Jan van Aken »eine Million Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen« will. Dabei hatte er diese Zahl, gefragt nach einer möglichen Obergrenze, genannt und nicht dafür plädiert, jährlich so viele Menschen ins Land zu holen.

De Masi betonte am Dienstag zugleich die konsequente Haltung des BSW für Frieden und Diplomatie im Ukraine-Konflikt. Und glaubt, genau deshalb gebe es derzeit »Störmanöver und Kampagnen« gegen die Partei.

Wagenknecht sieht sich derweil nicht veranlasst, in der Asyl- und Migrationsdebatte moderatere Töne anzuschlagen. Am Wochenende forderte sie eine Volksabstimmung über den künftigen Kurs in der Asyl- und Migrationspolitik. So solle »über die Frage entschieden werden, ob die Zuzugszahlen deutlich abgesenkt werden sollen oder nicht«. Als »Zielmarke« kann sie sich ein Kontingent von maximal »50 000 Zuwanderern pro Jahr« vorstellen, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. Eine Volksabstimmung könne auch der AfD den Wind aus den Segeln nehmen und »der Polarisierung in der Gesellschaft entgegenwirken«, meinte die BSW-Chefin. Im vergangenen Jahr hatten knapp 230 000 Menschen in Deutschland einen Erstantrag auf Asyl gestellt, 30 Prozent weniger als 2023. Wagenknecht wetterte einmal mehr darüber, dass seit zehn Jahren »ein Kontrollverlust bei der Migration« zugelassen worden sei.

Für einen Volksentscheid oder ein Volksbegehren auf Bundesebene fehlt in Deutschland indes eine rechtliche Grundlage.

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