- Politik
- Kongress in München zum Esoterik-Boom
Das Horoskop auf dem Würfelzucker
Ein im Jahre 1936 verfasstes Schulbuch soll wegen seines rassistischen Inhalts auf Antrag der Bundesfamilienministeriums auf den Index gesetzt werden. «Der Keim zum Genie ist der arischen Rasse bereits in ihre atlantische Wiege gelegt worden» lautet eine der inkriminierten Zeilen. Soweit wäre das wenig erstaunlich.
Zum Skandal wird der Fall erst, wenn man erfährt, dass der Autor Ernst Uehli ein Antroposoph ist und das Buch nach Angaben der Fernsehsendung Report bis heute ausgerechnet in einigen der von Teilen der Alternativbewegung hoch geschätzten Waldorfschulen zum Unter richtsmaterial gehörte.
Für den Publizisten Peter Bierl ist das keine Überraschung. Seit Jahren weist er in Büchern und Zeitungsartikeln auf die antisemitischen und rassistischen Hinter gründe der Anthroposophie hin. Am letzten Wochenende gehörte Bierl zu einem halben Dutzend Referenten, die die Quer Verbindung zwischen Esoterik, Irrationalismus und rechter Szene unter die Lupe nahmen. Ein studentischer Arbeitskreis hatte zu dem Kongress unter dem Motto «Ganzheitlich und ohne Sorgen in die Republik von morgen» geladen, und mehr als zweihundert Interessierte waren in die Münchner Universität gekommen. Darunter waren aber nicht wenige bekennende Esoteriker, die sich über die Vorträge empörten. Gelegenheit hatten sie genug. Neben dem Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner wurden auch andere Heroen der Alternativszene am Wochenende kenntnisreich aber tabulos und gelegentlich polemisch auseinandergenommen. Der Münchner Psychologe Colin Goldner informierte über die Kontakte des Dalai Lama zum rechtsradikalen Gründer der japanischen Aum-Sekte Shoko Asahara, der mit den von ihm befohlenen Giftgasanschlägen auf das Tokioter U-Bahn- Netz Schlagzeilen machte. Goldner setzt sich auch mit der Tibet-Begeisterung in Deutschland auseinander, die wesentlich älter als die hiesige Alternativ-Szene ist. Schon die Nazis rüsteten Expeditionen zum Dach der Welt aus. Hofften doch maßgebliche Naziführer, allen voran Heinrich Himmler, dort die Wiege der Arier zu finden.
Die bisher wenig beachtete esoterische Seite der NSDAP war auch das Thema mehrerer Filme, die im Laufe der Konferenz gezeigt wurden. Die Wortschöpfung 3. Reich ist ebenso esoterischen Ur Sprungs wie das Hakenkreuz und die in der NS-Propaganda beliebten Licht- und Feuersymbole.
Obwohl längst nicht alle Esoteriker rechts sind, ist der Trend unverkennbar. «Eine Unzahl von Verlagen, Organisationen und Seminarveranstaltern wären zu nennen, in denen - mehr oder weniger offenkundig - unter esoterischen Vorzeichen völkisch-rassistische, antisemitische und/oder faschistische Ideologie verbreitet wird»: lautete Colin Goldners mit vielen Beispielen untermauerter Befund. So unterschiebt der bekannte Esoterik-Guru Erhard Freitag selbst der Shoah einem karmischen Sinn: Die 6 Millionen ermor deter Juden und Jüdinnen hätten auf diese Weise lediglich die Schuld ihrer Vorfahren abgetragen. Ende 1996 veröffentlichte der «Reinkarnationsexperte» und Seminar leiter Tom Hockemeyer, der in der Szene unter seinem spirituellen Namen Trutz Hardo bekannt ist, ein Buch mit dem bezeichnenden Titel «Jedem das Seine». Dort wird der millionenfache Massenmord an den Juden zum karmischen Ausgleich für irgendwelche Verfehlungen, die diese sich in ihrem früheren Leben zu Schulden kommen lassen hätten. Die in Esoterikkreisen weit verbreiteten Ver schwörungstheorien sind ein weiteres Einfallstor für Antisemitismus, mit dem sich die Organisatoren des Münchner Kongresses entschieden auseinander setzten. Der israelische Professor Nathan Sznaider und der PDS-Bundestagsabgeordnete Heinrich Fink widmeten sich dieser Thematik.
Die Referenten blieben größtenteils nicht bei einer moralischen Esoterik-Kritik stehen. Besonders der Berliner Psychologe Peter Kratz und der Hamburger Publizist Thomas Ebermann verwiesen auf die ökonomischen Hintergründe des aktuellen New Age-Booms. Kratz sieht dort die ideale Rechtfertigungsideologie für skrupellose Wissenschaftler, Forscher und Politiker, die sich in der Freizeit nicht mit den ethischen Folgen ihres Tun auseinandersetzen wollen.
Genügt es, über die Esoterik aufzuklären, lautete die Fragestellung einer Diskussionsrunde zum Abschluss des Kongresses. Goldner rief noch einmal sehr nachdrücklich zum Widerstand gegen alle Spielarten der Esoterik auf. «Keine Toleranz der Esoterik. Selbst das scheinbar harmlose Horoskop auf der Verpackung für Zuckerwürfel muss bekämpft wer den». Keine einfache Sache, wie der Kongress deutlich machte.
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