am Schleichender Staatsstreich der AWS
Mit der »Lustrationskeule« gegen die Wiederwahl von Präsident Aleksander Kwasniewski
Von Julian Bartosz, Wroclaw
Über 60 Prozent der polnischen Wähler unterstützen laut Umfragen die Wieder wähl des amtierende Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski im kommenden Oktober. Dagegen holten die »Solidar nosc«-Mannen nun mit der »Lustrationskeule« aus.
Ein für alle Präsidentschaftskandidaten obligatorisches »Durchleuchtungsverfahren« endete für Kwasniewski am letzten Donnerstag mit einer Vertagung des endgültigen Spruchs bis zum 9 August. Unmittelbar vor dem Termin in Sachen Kwasniewski habe das Gericht vom Amt für Staatsschutz (UOP) Dokumente bekommen, die vermuten ließen, dass Kwasniewski mit seiner Erklärung, kein inoffizieller Mitarbeiter des vormaligen Sicherheitsdienstes SB gewesen zu sein, gelogen habe. Sollte das von der regierenden Wahlaktion Solidarnosc (AWS) bestellte Richtergremium des »Lustrationsgerichts« die Vermutung in wenigen Tagen bestätigen, wäre Kwasniewski aus dem Rennen. »Lustrationslügner« dürfen sich nämlich nach dem entsprechenden Gesetz aus dem Jahre 1998 um kein Staatsamt bewerben. Eine Berufungsinstanz, vor der ein Wider spruch zu verhandeln wäre, gibt es nicht.
Zuvor war auch Lech Walesa vor diesem Gericht unter Hinweis auf die aufgewärmte »Bolek«-Geschichte der »infor mellen Mitarbeit« bezichtigt worden. Wenn der ehemalige und der amtierende Staatspräsident derart ausgeschaltet wären, steigen die Chancen für den Solidar nosc-Kandidaten Marian Krzaklewski, den 60 Prozent der Polen jedoch als Präsidenten ablehnen.
Selbst die »Gazeta Wyborcza«, die vom ehemaligen führenden Dissidenten Adam Michnik geleitete Zeitung, fragte: »Ist das ein Lustrations-Staatsstreich?« Michnik selbst schrieb unter dem Titel »Angesichts einer Schurkerei«, es sei höchste Zeit, die Attacke gegen die Demokratie in Polen abzuwehren. Bei aller politischen Gegner schaft sei Kwasniewski doch der Mann, der sein Amt verfassungstreu ausgeübt, eine vernünftige Außenpolitik gesteuert, das Land würdig vertreten und Reformen unterstützt habe. Michnik fordert die Änderung des fatalen »Lustrationsgesetzes«. Schlechtes Recht müsse weg!
Noch schärfer reagierte ein anderer ehemaliger Dissident, Karol Modzelewski. In einem Rundfunkgespräch äußerte der Historiker, die Drahtzieher dieses politischen Abenteuers wollten offensichtlich, dass »nicht das Volk sondern die >bezpieka< (der Sicherheitsdienst) die Politik entscheidend bestimmen«. Modzelewski betonte, er gebrauche den alten Begriff »bezpieka«, denn das Amt für Staatsschutz - und das sei das schlimmste Über bleibsel der »Kommunezeit« - diene nicht dem Staate, sondern den politischen Interessen der Regierenden. Bei dieser Manipulation gehe es einzig darum, den Staatspräsidenten in den Dreck zu ziehen, einen Skandal anzustiften und politische Vorteile zu erzielen.
Die Tageszeitung »Trybuna« schrieb von einer Provokation der Rechten. Das sozialistische Blatt verwies nicht nur auf die ebenfalls vom UOP eingefädelte »Olin- Affäre«, durch die der frühere Premier Jozef Oleksy 1995 wegen angeblicher Spionage für Russland gestürzt wurde, sondern auch auf die Reihe von Intrigen in den letzten Wochen. Zunächst war ver sucht worden, Kwasniewski über längst aufgeklärte Finanzausgaben aus seiner Zeit als Sportminister vor 1989 stolpern zu lassen. Kurz darauf vermeldete die rechtsextreme »Gazeta Polska«, nach ihr bekannten Quellen sei Kwasniewski IM des SB gewesen. Drei Tage später war die Quelle bekannt: das Staatsschutzamt UOP Auf Verlangen von Zbigniew Siemiatkowski vom Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) trat der Parlamentsausschuss zur Überwachung der Dienste zusammen. Das Fazit der zweiten Sitzung am Montag: Es habe nur »Unzulänglichkeiten« im Handeln des UOP gegeben, von Rechtsbruch könne nicht die Rede sein. Doch diese »Unzulänglichkeiten« sind bedeutend. Bereits im Juli 1999 war - auf Verlangen von »Lustrationsrichter« Boguslaw Nizienski - das UOP fündig gewor den. Im Herbst kam ein neues »Dokument« hinzu. In diesem Frühjahr nahm der AWS-Aufseher für die Sonderdienste, Minister Janusz Palubicki, von den Funden Kenntnis. Dem Gericht wurden die Papiere aber erst Ende Juli - im Wahlkampf - zugestellt.
Der am Montag vor den Überwachungsausschuss zitierte UOP-Chef Zbigniew Nowek brachte noch ein weiteres Papier mit (»Sogar übers Wochenende haben wir gesucht.«). Was real vorliegt, ist eine Notiz über einen Journalisten »Alek« aus der Redaktion von »Zycie Warszawy«, der seine Kollegen bespitzelt haben soll. Wie Ausschussmitglied Jan Litynski (Freiheitsunion UW) verriet, schrieb das UOP in seinen »Schlussfolgerungen«, Kwasniewski sei IM gewesen. Damit hätte das Amt seine Befugnisse überschritten, denn solches Urteil steht nur dem Gericht zu.
Wie seinerzeit Oleksy mit einem dubiosen »Olin« gleichgesetzt wurde, soll Kwasniewski jetzt mit »Alek« identisch sein. Obwohl er nie in besagter Redaktion gearbeitet hat. Wie der Fall auch ausgehen mag: Bis zum 9 August steht Kwasniewski unter IM-Verdacht. Für die AWS und den Wahlstab von Krzaklewski ist er noch eine Woche lang vogelfrei. Selbst bei einem »Freispruch« wird etwas an ihm hängen bleiben. Und Krzaklewski könnte davon profitieren. Das Warnsignal »Achtung UOP« wird für Polens Demokratie um so lauter schrillen.
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