Wer springt schon 14 Meter weit?
In der Natur finden auch Spitzensportler ihren Meister / Eine Tier-Auswahl könnte in Sydney alles abräumen
Von Werner Koep
Schneller, weiter, höher - das sind die Ziele der Sportler bei den Olympischen Spiele. Doch auch im Zeitalter von Hochleistungsmedizin, (verbotenem) Doping und High-tech-Sportgeräten hätten die Sportler in Sydney keine Chance gegen eine Auswahlmannschaft des Tier reichs.
Könnten die Tiere bei Olympischen Spielen mit dabei sein, ständen sie fast überall auf der höchsten Stufe des Siegertreppchens. Das wäre der Gepard mit 3,25 Sekunden auf 100 Meter, er benötigt nur ein Drittel der menschlichen Rekordzeit. Dabei braucht er noch nicht einmal die ihm oft zugeschriebenen 120 km/h zu schaffen. Die inzwischen durch exakte Messungen bestätigten 105 Stundenkilometer reichen vollends. Die schnellsten Pferde rennen die Strecke in 5,1 Sekunden, auch Springbock und Grantgazelle kommen in zwei Sekunden auf 62 km/h, sind also immer noch wesentlich bessere Sprinter als die menschlichen mit 27 km/h Spitze. Im 10 000-Meter-Lauf ist der Gabelbock der Schnellste, er braucht nur 12:30 Minuten, damit weniger als die Hälfte gegenüber dem Äthiopier Haue Gebrselassie, der 1998 den Weltrekord mit 26:22,75 Minuten lief.
Den 400-Meter-Hürdenrekord, den der US-Läufer Kevin Young mit 46,78 Sekunden aufstellte, schlägt ein Australier, das Graue Riesenkänguruh, mit 29 Sekunden. Und auch beim Marathonlauf lässt das Tier den Menschen weit hinter sich. Wofür der Beste der Langstreckler immerhin gut zwei Stunden braucht, das schafft der Onager, der Wildesel asiatischer Steppen, in 45 Minuten.
Unklar ist jedoch, wo tatsächlich die Höchstgeschwindigkeit im Tierreich liegt. Bisher wurde sie dem Wanderfalken zugedacht: Zwischen 320 und 360 km/h sollte er erreichen. An der schweizerischen Vogelwarte Sempach wurde mit Hilfe eines Spezialradars aber festgestellt, dass der schnellste Vogel der Welt »nur« 184 km/h schafft - auch dies Grund genug, im »Guinness-Buch der Rekorde« festgehalten zu werden.
Am nächsten kommen menschliche Spitzensportler dem tierischen Konkur renten noch beim Weitsprung. Doch auch hier liegen Welten zwischen dem Weltrekord von 8,95 Meter und den 14 Metern, die der Schneeleopard springt. Selbst der heimische Rothirsch bringt es noch auf eine Sprungleistung von elf Metern. Im Hochsprung übertrifft Bruder Tier den Menschen wieder über mehr als das Doppelte, denn den menschlichen 2,45 Meter stehen die 5,50 Meter gegenüber, die der Puma in die Höhe schnellt. Einen vergessenen Rekord, der auch nie im »Guinness- Buch« genannt wurde, stellte Ende der 40er Jahre der Schäferhund-Rüde »Droll von der Rachelspitze« auf: Er übersprang in München eine Wand von fünf Metern - eine ähnliche Extremleistung wie der Weitsprung des legendären US-Leichtathleten Bob Beamon von 8,90 Meter, der über 23 Jahre Bestand hatte.
Auch die olympischen Kraftmeier müssten vor Neid erblassen, sollten sie sich mit den tierischen messen. In unseren Tagen hält der Ex-Frankfurter Ronny Weller zwei Weltrekorde im Gewichtheben. Mit den 900 kg, die ein Gorillamann hochbringt, kann er allerdings nicht mithalten, noch weniger mit der Afrikanischen Weberameise. Das zwei Milligramm wiegende Tier schafft es, den Körper eines Vogels von sieben Gramm fortzuziehen.
Könnte ein Mensch es dem Winzling gleich tun, müsste eine 70-kg-Person nicht weniger als 4000 Zentner bewegen: das Gewicht von 200 Mittelklasse-Autos.
Nicht nur bei den Wettbewerben zu Lande gibt es erstaunliche Unterschiede zwischen Menschen und Tier. Auch im nassen Element haben die Geschöpfe mit der perfekten Stromlinienform die Nase weit vorn. Zwar schaffen weibliche Olympioniken ebenso wie ihre männlichen Kollegen die 100 Meter Freistil unter einer Minute, doch wie »langsam« ist das im Vergleich zum Fächerfisch oder Schwertfisch: Sie durchschwimmen diese Strecke in nur 3,25 Sekunden.
Wie gut also, dass homo sapiens mit den Vierbeinern, Vögeln, Fischen und Insek ten nicht in Konkurrenz antreten muss, er bliebe immer nur unter »Ferner liefen«. Er verweist seine Mitgeschöpfe auf andere, unrühmliche Weise in ihre Grenzen: in immer kleinere Lebensräume mit immer weniger Arten in immer mehr Gebieten unserer Erde.
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