Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Auf Sand zu Arabella, Berit und der »Spinnstuw«

Öko-Tourismus Nachtwandern und Brotbacken statt Beautyfarm und Swimmingpool

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Silvia Ottow

Seit Mai dieses Jahres lädt abseits vom Kaiserbädertrubel ein idyllischer Bauernhof im romantischen Achterland von Usedom zum natürlichen Urlaub in sozialem Miteinander- ohne Konsumwahn und Ellenbogenmentalität.

Die Insel Usedom ist seit über zwei Jahrzehnten die Wahlheimat von Berit Poppe, der engagierten Grünen aus Sachsen. Als Anfang der 90er Jahre die alten »Kaiserbäder« Ahlbeck, Heringsdorf, Bansin wieder noble Gestalt anzunehmen begannen, dachte Poppe darüber nach, dass es doch auch noch »einen anderen Tourismus« geben müsste - im Einklang mit der Natur und unter Rückbesinnung auf alte Werte und soziales Miteinander.

Allein mit zwei Kindern und einem Fahrrad machte sie sich daran, zu diesem Zweck einen alten Bauernhof beim Dörfchen Stolpe in der Nähe des Oderhaffs zu erwerben, der einer 37-köpfigen Erbengemeinschaft gehörte und fast eine Ruine war. Sie wollte ihn schadstofffrei rekonstruieren und später auch ökologisch betreiben. Die Heizung sollte mit dem regenerativen Brennstoff Holz funktionieren, Trinkwasser in eigener Anlage hergestellt und über Pflanzenbeete entsorgt werden, die Gebäude in Lehm-Fachwerk wieder entstehen ... Auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten für ihr Projekt, das sie mit zwei Frauen betreiben wollte, fuhr Poppe in Mecklenburg-Vorpommern von Bank zu Bank. »Lassen Sie den ganzen grünen Scheiß weg«, riet man ihr bei der einen, »dann machen wir die Sache«. »Was, nur Frauen?« hörte sie bei der anderen. »Das kann ja nichts werden«.

Es dauerte, aber es wurde. Im Juli 1999 ging es den salpeterzerfressenen Schweinestallwänden endlich doch an den Kragen - gebaut werden konnte mit Hilfe eines Kredites der GLS Gemeinschaftsbank e.G. Bochum sowie mit EU- und Landesmitteln. Einen Tag vor Berit Poppes 40. Geburtstag, dem 25. März 2000, konnte die laut Prospekt »träumerische Alleinanlage« mit 200 000 eigenen Quadratmetern Wald und Feld für den naturliebenden, ökologisch gesinnten Urlauber geöffnet werden. »Bis 40 wollte ich es geschafft haben«, sagt die Touristik-Fachwirtin, Kutscherschein-Inhaberin und amtlich bestätigte Hygiene-Auskennerin. Auf all diesen Gebieten qualifizierte sie sich in den Jahren, die der Realisierung ihres Traums vorangingen - teils, weil die Bürokratie es so verlangte; teils, weil sich Berit Poppe mit ihrer Tourismusagentur ein zweites Standbein schaffen wollte.

Allen soll alles offen stehen, ist das Hof- Motto. Es gilt für den Stall, in dem das Hausschwein Arabella aufs Futter oder den Spaziergang wartet, es trifft auf den Backofen und die Pferdekoppel zu, und erst recht nicht davon ausgenommen sind Holzplatz, Bauerngarten, Badeteich, Wald und Feld. Im Lebenstraum der couragier ten Sächsin kommen Verbotsschilder kaum vor. Doch die selbst verordnete Offenheit kann anstrengend sein: Wenn die Kinder den kleinen, sorgsam angelegten Badeteich schnell ramponieren, wenn einige Besucher die Dienstleisterinnen im Haus mit Dienstboten verwechseln oder wenn die Gäste in der 150 Quadratmeter großen Bauernküche an den langen Tischen mit missionarischem Eifer gegen das Autofahren oder asphaltierte Radwege wettern. Natürlich freue man sich über Gäste, die mit dem Rad kommen und Wandern, Brot backen und Körbe flechten wollen, sagt die Chefin. Doch gehe es im Stolper Hof keinesfalls dogmatisch zu; er sei mit dem Auto zu erreichen und auf dem Speiseplan stehen auch Fleisch und Eier - selbstverständlich von Tieren, über dessen artgerechte Lebensbedingungen man sich vorher informierte. Nur, wenn jemand auf die Idee kommen sollte, den zwei Kilometer langen AUeensandweg vom Dorf zum Hof, der selbst professionellen Radfahrern den Schweiß auf die Stirn treiben kann, zu pflastern oder gar zu asphaltieren, würde Poppe wütend. »Den verklage ich dann wegen Geschäftsschädigung«, droht sie temperamentvoll bei einem Kartoffelschnaps. Den kann man nach dem Genuss vorzüglicher Erdäpfelspeisen gut vertragen, denn die Köchin hat an den Soßen mit Sahne bestimmt nicht gespart. Das dunkle Ökobier bezieht der Stolper Hof aus Chorin und die ökologisch angebauten Weine mangels näher gelegener Anbieter aus dem Südwesten Deutschlands. Die Idee, nur mit Herstellern und Zulieferern im Umkreis von weniger als 200 Kilometern zu kooperieren, ließ sich nicht in allen Punkten realisieren, auch die Hanf-Matratzen in den urgemütlichen Schrankbetten der 14 Kammern für ca. 40 Gäste sind aus Bayern. Einige Sommerurlauber waren so begeistert, dass sie Kinderbett und Gummistiefel gleich fürs nächste Mal dort ließen. Trotz guter Auslastung des Öko-Hofes, der im Beamten-Deutsch »ökologisches Tourismus-Projekt mit Pension, Gastronomie und Erlebnisbereich« heißt, wird Berit Poppe wahrscheinlich erst im nächsten Jahr wissen, ob sie es »geschafft« hat. Dann nämlich, wenn die »Heimkehrer« buchen und noch viele neue Interessenten mitbringen. Heimkehrer nennt man auf dem Stolperhof diejenigen, die schon mal da waren. Sie bekommen 5 Prozent Rabatt - genau wie diejenigen, die ohne Auto anreisen und selbstverständlich kostenlos vom Bahnhof Anklam abgeholt werden.

Stolper Hof, Ausbau 1, 17406 Stolpe auf Usedom, Tel./Fax (038372) 71081/ 71082. Internet, www.stolperhof.de, e-mail: stolperhof@t-online. de

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.