- Politik
- Corinna Harfouch und Catherine Stoyan bar jeder Vernunft in der Bar jeder Vernunft
Aus alles wird nichts
Vorweihnachtszeit ist immer auch Märchenzeit, und so lockt die Bar jeder Vernunft in der Berliner Schaperstraße mit einer Märchen-Farce frei nach «Schneeweißchen und Rosenrot» unter dem wenig besinnlichen Titel «Bloody Daughters».
Nun ja, Grimms Märchen sind meist ziemlich blutrünstige Geschichten, und oft schon wurden sie auf ihren schaurigen Gehalt abgeklopft. Die vergleichsweise harmlose Geschichte von den zwei unzer trennlichen Schwestern, die mit der Mutter allein im Wald leben, einen Bären als Freund gewinnen und ihm, weil sie so edel und sittsam sind, gegen den bösartigen Zwerg helfen, ließe sich durchaus als zeitgemäße Farce denken. Wie wäre es denn wirklich, wenn eine Mutter mit ihren Töchtern allein im Wald lebte, wie er nährten sie sich, wie begegneten sie dem rauen Alltag? Die Mädchen können ja nur mit dem Schießeisen aufgewachsen sein...
Bei «Bloody Daughters» sollte man jedoch den Gedanken an ein mögliches Konzept oder eine Dramaturgie sofort wieder vergessen. Wer mit einer wenigstens in Ansätzen logischen und durchdachten Vorstellung rechnet, wird nicht nur enttäuscht, sondern wütend sein. Dem Ort zur Ehre ist das Ganze bar jeder Vernunft. Der einzige und besondere Gag dieses Spiels liegt bei den Akteurinnen und den Akteuren selbst, die ihrem Affen so richtig Zucker geben, so ziemlich alles verhackstücken, was ihnen so in den Sinn kommt, und zwar endlich mal «fern von den Zwängen des üblichen Theaterbetriebs».
Die Schwestern, auch im wirklichen Leben, heißen Corinna Harfouch und Catherine Stoyan und haben vor drei Jahren schon einmal im Berliner Ensemble gemeinsam ein Kinderstück, «Abenteuer im Schlumperwald», auf die Bühne gebracht. Wenn auch diesmal durchaus wieder Anflüge kindlicher Naivität im Spiel sind, gleich daneben gesetzt ist eine bis zum Exzess getriebene Erotik, blanke Gewalt als Normverhalten, dazu ungehemmte Wild-Westgesänge. Und die Mutti in der Urne ist stets dabei.
Die wandlungsfähige, immer etwas spröde wirkende Corinna Harfouch wirkt in der Summe ihrer Rollen der letzten Jahre wie ein hin und her getriebenes Blatt zwischen großem Theater (Volksbühne,
BE, Wiener Burg), filmischen Überraschungen («Der Tangospieler» oder «Fandango») und seichteren Komödienund TV-Serien. Schwester Catherine Stoyan, wie Corinna aus dem sächsischen Großenhain stammend, schlägt sich, wenn auch mit geringerem öffentlichen Erfolg, ebenfalls als Schauspielerin durchs Leben. Sie spielte für Kinder und Jugendliche am Theater der Freundschaft, später am Berliner Ensemble, an der Schaubühne und in vielen freien Produktionen; Filmrollen hatte sie in «Architekten» und «Weggefährten», in Fernsehserien wie «Praxis Bülowbogen», «Havelkaiser» oder «Großstadtrevier».
In der Bar jeder Vernunft ist ihr Part die blonde Snow, die sich an der Seite der lebhafteren und etwas herrischen Schwester Blood durchaus behauptet. Zwei böse Mädchen und blutige Töchter sind sie denn vor allem in ihren Gesängen, und die Sangesanteilung der schauspielernden Zunft kennt nun zwei neue Namen, auch wenn eine CD bis jetzt noch nicht angeboten wird.
Dass der «übliche Theaterbetrieb» mit Regie und Dramaturgie seine Daseinsberechtigung bei aller Schauspielerfahrung nicht verloren hat, zeigte sich darin, dass die «Bloody Daughters» bis zur Theater pause leider das meiste Pulver schon ver schössen hatten. Die Musiktitel, wenn es nicht gerade der «Kleine Zug» von Maryla Rodowicz ist, stammen von Sänger und Schauspieler Nino Sandow - der als Sam und auch im Bärenkostüm agiert - oder der Gruppe Birkenwäldchen. Wobei die Texte vor allem der freie Autor, Dramaturg und Performance-Künstler Jörn J. Bur mester erdachte - irgendwie alles in Gemeinschaftsarbeit. Mit von der Partie als eine Art Zwergenersatz sind noch der Puppenspieler Karl Huck und seine moderierende Puppe Sabbath.
Was dieser Freundeskreis - man kennt einander schon lange - bietet, wäre als konsequentes Musiknummernprogramm wirklich gut, als Märchen-Farce ist es eher schwach und vorweihnachtlich ganz bestimmt nicht. Das Premierenpublikum tendierte jedenfalls von heller Begeisterung bis zu strikter Ablehnung - mit und trotz der Harfouch, wegen der man ja vor allem gekommen war. Die Bar jeder Ver nunft hat dagegen stets und zuverlässig ihre Kerzenatmosphäre und gutbürgerliche Küche zu bieten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.