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Dun Fritz Teufel und die «Wahrheitsfindung»

Politprovokateur erhält Wolfgang-Neuss-Preis 2001 Von Nils Floreck

  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Picknick mitten in der Verhandlung 1967 und Kopfstand bei der Vereidigung 1979 - Fritz Teufel hat Rituale nie ernst genommen. Die Auffor derung des Richters, sich zu erheben, quittierte er mit den Worten «Na wenn es der Wahrheitsfindung dient». Auch die Vereidigungsformel zog er durch den Kakao und sprach feierlich die Worte «So wahr mir Karel Gott helfe». Obwohl die Justiz ihn mit ungewöhnlicher Härte ver folgte, beantwortete Teufel die Gewalt des Staates nie mit Gewalt. Für seine beispielhaften Aktivitäten verlieh ihm gestern ein Freundeskreis für Zivilcourage den Wolfgang-Neuss-Preis.

Die Schriftstellerin Peggy Parnass schätzt an Teufel vor allem Wärme und Humor, zwei Dinge, die sie nicht nur allen Linken, sondern auch allen Gerichten wünscht. Parnass schrieb für taz und zitty die Gerichtsreportagen aus dem Saal 101, in dem die Studentenprozesse stattfanden. Mit dabei, erst als Referendar, später als Rechtsanwalt, auch Hans-Christian Ströbele, der gestern die Laudatio hielt. Teufel hatte den Mut, so der grüne Politiker, entgegen der politischen Korrektheit das Richtige nicht nur zu sagen, sondern auch zu tun. «Er hat sich damit um die Wahrheitsfindung verdient gemacht.» Die Gewalt, so Ströbele, ging damals vom Staat aus, auf der Straße, aber auch in den Gerichtssälen und bei Wohnungsdurchsuchungen. Das habe die Studentengeneration und damit auch Teufel geprägt.

Teufel hat politisches Kabarett nicht nur gemacht, sondern gelebt. Geboren 1943, hatte er «Glück bei der Wahl seiner Eltern» (so Teufel selbst) und begann später in Berlin, Literatur zu studieren. Prägend war für ihn ein Besuch eines Naziprozesses. Richter und Angeklagte waren sich damals auffällig ähnlich. Später begründete Teufel die Kommune I mit. Er ging allerdings schon damals nicht nur mit Staat, Justiz und Polizei kritisch um. Mitglied der RAF war Teufel nie, weil ihn deren autoritären Strukturen störten.

Trotzdem wurde er als «Terrorist» bekannt, denn nach der Verhaftung wegen des Baus von Rauchkerzen und dem geplanten Wurf von Mehltüten auf den amerikanischen Außenminister titelte nicht nur die Bild-Zeitung: «Sprengstoffanschlag geplant». Dabei erfanden die Beschuldigten sogar das Pudding-Attentat erst nach ihrer Untersuchungshaft auf der anschließenden Pressekonferenz. Am 2. Juni 1967 erlebte Teufel die Anti-Schah- Demonstration mit, sah die prügelnden «Jubel-Perser» und die mitprügelnden Polizisten und wurde nach der Demo ver haftet. Begründung: Er habe einen Stein auf einen Polizisten geworfen. Nach über vier Monaten wurde er aus der U-Haft entlassen (und verließ das Gefängnis mit einem Adventskranz als Kopfschmuck). Der Polizist, der am 2. Juni Benno Ohnesorg erschoss, saß keinen einzigen Tag in Untersuchungshaft. Teufel dagegen kam noch ins Gefängnis: Auf Grund von Indizien wurde er 1970 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt

1975 kam Teufel noch einmal in U-Haft. Diesmal über vier Jahre. Am Ende soll er zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt werden. Peinlich für das Gericht: Nach den Plädoyers präsentierte Teufel ein wasserdichtes Alibi und entlarvte damit die gesamte Verhandlung als politischen Schauprozess, in dem es nicht um Individualschuld ging; sondern um die Kriminalisierung einer Bewegung. Doch der von Teufel er hoffte Ruck in der öffentlichen Meinung blieb aus, die westdeutsche Justiz ging schnell wieder zur Tagesordnung über.

Inzwischen ist Teufels Bart ab, auch die Haare sind fort. Teufel ist heute Fahrradkurier und trägt nur noch gelegentlich eine Pappnase. «Aber in der autoüber schwemmten Stadt Berlin Fahrrad zu fahren, erfordert ja auch Zivilcourage», so Teufel nach der Preisverleihung mit einem spitzbübischen Lächeln. Ein Wermutstropfen bleibt allerdings. Der Wolfgang- Neuss-Preis 2001 wird wohl eine Eintagsfliege bleiben. Der preisgebende Verein wollte sich noch am Sonntag auflösen.

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