Mit dem Lied vom Neuen Leben

Lotte, liebe, neunzig Blüten dürften wir Dir heute reichen, durchaus auch rote Nelken, aber das würdest Du, Tochter eines jüdischen Prager Fabrikanten, für zu aufwändig halten, zumal in Deinem Garten in Weimar jedes Hähnchen, das lebt und ans Licht drängt, Dir lieb und kostbar ist. Und hatte nicht Louis ein in den tristen Gefängnishof gewehtes Nussbaumblatt den Genossen weitergereicht und ihm mit seinem anrührenden Gedicht alle Sterblichkeit genommen?

Sei bedankt für die Reportagen und Berichte aus der Tschechoslowakei, für Deine Übersetzungen der nachbarlichen Poesie, all die böhmischen Samenkörner, die Du ausgestreut hast. Bewundernswert, wie umsichtig Du den Faschismus bekriegt, in höchster Gefahr auch den Liebsten aus dem Kerker freigekämpft hast. Grad auch Louis' Gedichte an Dich gehören zum Schatz deutscher Poesie. Da dachten sie in der Volkskammersitzung (17 Juni 1952): Oh, der tschechische Botschaftsrat auf der Gästebank macht sich eifrig Notizen - und am Ende war es ein «Abendlied für Lotte». Geschrieben von dem gütigsten Menschen, dem zu begegnen war.

Euch beide, Euer Leben gegen Nazismus, die quälende Odyssee Eurer Emigration, die ihr durchstanden habt, Eure leidenschaftliche Mühe, in Palästina Juden und Araber zu versöhnen, bewunderten meine Freunde und ich, ehe Ihr endgültig iu uns in die DDR kamt. Freilich angestachelt, Du weißt, von einem jungen deutschen Dichter, den ihr im böhmischen Exil entdeckt hattet und dem Ihr, wie so manchem, mit aller Liebe beigestanden seid. Uns rezitierte KuBa Louis Fürnbergs Gedichte - by heart, mit dem Herzen - bevor hier Louis erste Bücher auf ärmlichem Papier gedruckt waren. Was wussten wir, wie Verfolgung, der Tod der Familienmitglieder, so vieler Freunde, Kampfgefährten Euch das Herz schwer machte. Auch der Schatten Berijas, 1952, während der Slänsky Prozesse, die plötzliche Abberufung aus dem diplomatischen Dienst der Tschechoslowakei.

Wir sangen, das war uns wichtig, das Lied vom Neuen Leben, das anders wer den muss, hatten auch schon «ein Ziel vor den Augen», ohne zu ahnen, wie schwer es zu erreichen ist.

Unvergesslich jener Augusttag 1954, als Ihr im ramponierten Ostbahnhof aus dem Zug stiegt, Zwischenstation Berlin. Nun durfte und wollte Louis in Weimar im Dienst der deutschen Klassik wirken. Willkommensgruß und Gläserklang ir gendwo in der Stalinallee: Lotte und Louis wirklich hier! Für immer! - Da hattet Ihr von zwanzig gemeinsamen Jahren noch drei...

Vorbildlich ist die von Dir unterstützte Forschungs- und Archivarbeit, die die sorgfältige Edition der Werke Louis und der Briefbände ermöglichte. Aber Dich und nicht Wenige kränkt das Totschweigen, zehn Jahre schon. Fast nichts wurde neu gedruckt von den Erzählungen, Novellen, den feinsinnigen Miniaturen, von den stillen Naturgedichten wie von den im Kampfe gegen die deutsche Reaktion geschriebenen Texten. Nach denen hatte Bertolt Brecht bei Louis im Januar '56 telegrafisch angefragt, weil er sie aus ihrer Geschichtlichkeit in die Kämpfe des Tages einzubringen suchte.

... Im Kampf gegen rechts, beim «Aufstand der Anständigen» soll Louis Fürnberg nicht vorkommen. Ihren Autor zum Schweigen zu bringen, muss eine Verszeile herhalten, die Louis im Herbst 1949 mit verwundetem Herzen dem IX. Parteitag der KPC zugedacht hat: «Die Partei hat immer recht».- Haben wir Friedrich Schiller, ebenso jung gestorben wie Louis, beiseite getan, weil aus seiner Feder die Zeile stammt: «Wenn sich die Völker selbst befrein, da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn»?

Uns wird Schiller stets ein Dichter der Freiheit sein, wie-die Befreiung von der auf Ungerechtigkeit gegründeten Gesellschaft immer ureigene Sache der Völker bleiben wird. Nur, die unentwegten Sieger in ihrer staunenswerten Selbstgerechtigkeit spüren wie stets davon keinen Hauch.

Das kann kein Trost sein, liebe Lotte Fürnberg, will nur sagen, dass Eure Lebens- und Kunsterfahrung uns nötiger ist als je. Hab Dank für alle Ermutigung. Freu Dich des Tages mit Alena, mit Mischa und den Euren. Und: Bleib wohlauf.