Am 13. Mai hat die Schriftstellerin Gisela Steineckert Geburtstag
Veronika Fischer
Lesedauer: 8 Min.
Ausgerechnet ich soll Gisela, einer Wortmeisterin, einer Schriftstellerin, in Form eines Artikels zum Geburtstag gratulieren? Das wäre genauso, als würde sich Gisela zu gegebenem Anlass auf die Bühne stellen und mir ein Lied singen. Ich würde mich darüber freuen, vor allem, wenn sie es in ihrer unverwechselbaren Operettenart täte. Mit dem langsamen Vibrato, bei dem angeblich die Familie ausreißt. Das kann ich mir nicht vorstellen. Sie kokettiert doch nur damit. Wir beide hatten und haben damit jedenfalls viel Spaß in den Garderoben vor den Konzert-Lesungen. Seit vergangenem Jahr sind wir mit »Über die Männer und uns« unterwegs. Vor den Konzerten ist sie sehr konzentriert, die eher Stillere. Ich bin die Lautere, das liegt in der Natur der Dinge. Sie steht schon immer fünf Minuten, bevor die Veranstaltung beginnt, hinter dem Vorhang. Das würde mir nicht einfallen. Und dann geht's los. Gisela betritt die Bühne und sagt zum Publikum: »Sie hätten heute Abend auch etwas Anderes machen können, aber Sie sind zu uns gekommen.« Per in-ear, das sind Stöpsel im Ohr, kleine Lautsprecher, höre ich alles mit. Sehr vorteilhaft, so kann ich meinen Auftritt nicht verpassen. Ich kenne das Stichwort. Wobei Gisela sehr variiert, da muss man wachsam sein. Und dann freue ich mich auf die Dialoge, die Gespräche, ihre Monologe, die sie einzigartig vorträgt, in ihrer unverwechselbaren Art. Oft überrascht sie mich mit Neuem, ohne es anzukündigen. Das bringt Spannung und lässt Langeweile nicht zu.
Gisela hat gerade ein neues Buch veröffentlicht - »Alt genug, um jung zu bleiben«. Sie stellt es unermüdlich landauf landab ihrem interessierten Publikum vor. Mit 75 eine ziemliche Leistung. Doch Gisela hat einen Schutzengel, ihre nun auch schon 30-jährige Enkelin Laura-Marie. Die junge Frau ist ihr stets zur Seite. Fährt sie zu Auftritten, frisiert ihr das Haar, organisiert ihre Lesungen und sorgt für die nötigen Vorbereitungen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wieviel Kraft dieses Reisen kostet, ganz abgesehen von zuweilen nervenaufreibenden Bedingungen vor Ort. Doch: »Man muss den Spuren der Lieder folgen, da kommt man zu den Leuten.«
Wenn sie dichtet, wenn sie schreibt, ist sie gern allein, zuhause an ihrem Schreibtisch im Hochhaus, mit dem freien Blick in die Wolken. Doch dann braucht sie wieder die Nähe, den Kontakt zu den Leuten, ihren Lesern, ihren Freunden oder den Frauen, denen sie nach der Wende als Vorsitzende, nun als Ehrenvorsitzende des Demokratischen Frauenbundes Mut macht. Arbeit - für Gisela Steineckert ist sie (über)lebenswichtig. Sie sei, wie sie selbst sagt, »einer ihrer ausgeprägtesten Genüsse«.
Bei einem Bühnenprogramm wie »Über die Männer und uns« bleibt es nicht aus, dass man sich gegenseitig seine privaten »Erfahrungen« über diese Spezies Mensch mitteilt. Der erste »Mann« in ihrem Leben war eher abschreckender Natur. Es war ihr Vater, ein Trinker, der sie als Kind nicht ein einziges Mal mit ihrem Namen ansprach. Als sie 1949 ihren ersten Mann, den Bauingenieur Walter Steineckert, heiratete, war sie gerade 17. Mit Ach und Krach hielt die Ehe, in der im Mai 1951 Tochter Kirsten geboren wurde, neun Jahre. Danach folgte eine kurze Ehe mit dem Lyriker Heinz Kahlau. Auch ein Irrtum, wie sich bald herausstellen sollte. »Der hatte nur eine Angst - ich könnte ein Gedicht schreiben, das besser wär als eins von ihm«, sagt sie in den »Weibergeschichten« von Gisela Karau. Ihre mehrjährige private Liaison mit dem Sänger Jürgen Walter mündete in einer Jahrzehnte langen Freundschaft, die bis heute anhält. Mehr als 400 Lieder schrieb sie für ihn. Doch der allerwichtigste Mann in ihrem Leben ist der ehemalige Rundfunk-Chefredakteur für Musik Wilhelm Penndorf, Giselas dritter Ehemann. Ende der 60er lernte sie ihn bei gemeinsamer Arbeit im Funk kennen, 1973 heirateten sie. Ein Fels in der Brandung. Nicht nur durch seine Körpergröße. Er ist, soviel ich weiß, knapp zwei Meter groß. Ein Mann zum Anlehnen, ihr Lanzelot. Den muss man erst Mal finden! Er hängte den Beruf an den Nagel, um ihr den Rücken frei zu halten. Und er kocht gern, mit Vorliebe leckere Süppchen, die Gisela besonders mag. Also, ein seltenes Exemplar. Er kann nämlich mit einer starken Frau leben und ihr den nötigen Freiraum für ihre Kreativität lassen, sie bei Bedarf unterstützen. Beneidenswert! Bei Nachfrage kann Gisela mir, trotz durchaus kupplerischer Veranlagung, kein entsprechendes Exemplar vermitteln. Wie schade!
Gisela ist immer eine starke Frau gewesen, und das war nicht nur zu ihrem Vorteil. Sie hat sich gern eingemischt und an vorderster Front gekämpft. Wer die Bühne betritt, muss damit rechnen, nicht verstanden zu werden. Das hat sie bitter erfahren und lernen müssen im nunmehr geeinten Deutschland. Sich neu orientieren zu müssen, als Sozialistin in der freien Marktwirtschaft. Willkommen im Kapitalismus! Ich habe da schon zehn Jahre früher geübt und immer noch meine Schwierigkeiten. Wir beide gemeinsam auf der Bühne - für Einige ist das unvorstellbar. Ich habe die DDR 1981 verlassen, aus unterschiedlichen Gründen. Nachzulesen ist das in Giselas Buch »Diese Sehsucht nach Wärme«. Sie - eine DDR-Vertreterin aus Überzeugung, Vorstandsmitglied des Berliner Schriftstellerverbandes, Präsidentin des Generalkomitees für Unterhaltungskunst, SED-Mitglied seit ihrem 37. Lebensjahr. »Ich habe die DDR geliebt und denke gern an sie zurück, auch wenn ich sie nicht wiederhaben möchte«, sagt sie heute. Und grübelt über ihre und Anderer Irrtümer. Und macht es sich nicht leicht damit.
Ich ging nach dem Tod meines früheren Texters Gerulf Pannach im Jahr 2000 auf sie zu, auf der Suche nach neuen Textideen. Mir fielen die schönen Texte für Jürgen Walter ein, für den sie lange schrieb und noch schreibt. Es gab sofort einen Draht zwischen uns und so entstanden die ersten Lieder wie »Tief im Sommer«. Dann gab es die Idee des Buches. Ursprünglich sollte es eine Autobiographie sein. Ein Verlag bot es mir zu meinem Fünfzigsten an. Ich fragte Gisela und sie ging darauf ein. Es wurde ein Porträt über mein Leben. So lernten wir uns auch persönlich näher kennen. Es sollte, nach ihrer Aussage, eines ihrer schwersten Bücher werden. Erklären muss sie das selbst. Ich kann da nur vermuten, dass es unsere verschiedenen Lebensläufe waren, die ja automatisch auch von ihr Vergangenheitsbewältigung und neue Betrachtungsweisen erforderten. Unterschiedliche Sichten sollten nicht zwangsläufig eine Freundschaft unmöglich machen. Unvoreingenommenheit und natürlich die Kunst können da eine Brücke sein. Wir stellten mit Erstaunen fest, dass wir trotz Unterschiedlichkeiten eine Menge Gemeinsames entdeckten. Das wäre ein Vorbild für das Zusammenwachsen in unserem angeschlagenen Deutschland oder für die Integration unserer Einwanderer. Ich gehöre zu den Dinosauriern, die sich als Sänger der so genannten Unterhaltungskunst bemühen, gute lyrics zu singen. Deshalb landete ich bei Gisela Steineckert, die für mich eine der besten Texterinnen in unserem Land ist. Man sollte an einem Lied arbeiten wie an einem Theaterstück, ist ihre Überzeugung. Und der Interpret muss das Seine dazu tun, als gleichberechtigter, mitdenkender Partner. Vielleicht ist deshalb die Liste der Interpreten, für die Gisela schrieb, auch gar nicht so lang. Uschi Brüning kommt darin vor, Kurt Nolze, Angelika Neutschel, Eva-Maria Pieckert, Frank Schöbel und - natürlich - Jürgen Walter.
Gerade arbeiten wir an einer neuen Konzert-Lesung. »Weh dem, der liebt (Es sei denn: mich)« soll sie heißen. Gisela schwärmt schon seit geraumer Zeit von wunderbaren Einfällen dafür. Ab Juni soll's losgehn. Ich werde aus meinem Lieder-Pool geeignete Titel auswählen und zwischen den schönen Dialogen und Monologen vortragen.
Doch hier und an diesem besonderen Tag geht es allein um Gisela. Seit 75 Jahren übt sie nun schon dieses, ihr Leben. Mit vier konnte sie lesen, mit zehn schrieb sie ihr erstes Gedicht. Geboren als zweitältestes von insgesamt vier Kindern eines Dienstmädchens im damaligen Berliner Armenviertel Ackerstraße, hatte sie dennoch die Chance, nach Kriegsbeginn gemeinsam mit Bruder und Schwester einige glückliche Kindheitsjahre im oberösterreichischen Wildenau zu erleben. Glück, das war für die Neunjährige, regelmäßig zur Schule gehen, lesen und auch mal träumen zu dürfen. Nach dem Krieg kehrte sie nach Berlin zurück, begann eine Lehre als Industriekaufmann, arbeitete als Sprechstundenhilfe und Sachbearbeiterin, später als Autorin für den Eulenspiegel, das Magazin, die Sibylle oder das Jugendmagazin neues leben. Sie schrieb Drehbücher für Filme wie »Auf der Sonnenseite« oder »Liebe mit 16«, Dutzende Hörspiele, 43 Bücher sowie Gedichte und Liedtexte in unglaublicher Zahl. Die genaue Zahl ist nie wirklich reell, da sie bereits heute wieder zwei neue geschrieben haben könnte. Ich kenne keinen Kreativen, der so schnell so gut schreibt. Ich liebe ihre Gedichte und bedauere, sie nicht in jedem Fall singen zu können. Da gibt es Liedgesetzmäßigkeiten und das funktioniert nicht immer. Aber dafür gibt es dann die speziell für mich geschriebenen wunderbaren Texte wie »Dünnes Eis« oder »Ein Winter ist mir widerfahr'n«.
Der Flieder beginnt langsam zu blühen, an ihrem Geburtstag steht er entweder in voller Blüte oder ist gerade verblüht. Es sind ihre Lieblingsblumen, die leider in der Vase sehr schnell ihre Pracht verlieren. Also müsste man ihr einen Baum schenken. Was Gisela von mir bekommt, verrate ich aber nicht, außer, dass es ihr beim Schreiben ein wohliges Gefühl geben soll. Liebe Gisela, ich wünsche Dir »noch zehn Leben« bei guter Gesundheit, so wie Du es in einem Deiner Verse einmal beschrieben hast. Ein nicht ganz uneigennütziger Wunsch. Das mögest Du mir als Interpretin Deiner Texte verzeihen.
Deine Veronika Fischer. Gisela Steineckert: Alt genug, um jung zu bleiben.
Das Neue Berlin. 189 S., geb., 12,90 EUR.
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