- Politik
- »Karl Mays Werke« und eine »einstweilige Verfügung«
Mit dem Henrystutzen auf Kriegspfad?
Dieser Stutzen, ursprünglich ein totes Meisterstück, ist in dieser Hand zu einem lebenden Wesen geworden, hat denken, berechnen und gehorchen gelernt. Old Shatterhand... weiß, ja er fühlt die Kugel schon im Ziele sitzen, wenn er die Patrone noch in der Tasche hat. Er und sein Stutzen haben nur eine Seele, nur einen Gedanken und nur einen Willen ...» - Der berühmte Henrystutzen ist es, den lesenden Präriegefährteli Old Shatterhands wohl bekannt, dem Karl May Leben eingehaucht hat. Er hat das für die Erzählung «Der schwarze Mustang» getan, die von der Union Deutsche Ver lagsgesellschaft 1899 als Buch herausgegeben worden ist und insgesamt 32 Auflagen erlebte - bis zum Jahre 1916. Dann wurde der «Schwarze Mustang» vom Karl-May-Verlag Radebeul als Band 38 in die Gesammelten Werke übernommen.
Da haben wir, so der damalige Verlagschef Dr. Euchar Albrecht Schmid in einem Rundschreiben vom 25. Februar 1922 «an die näheren Freunde» des Karl-May-Ver lages, «sehr viel daran gekürzt und ver bessert, um sie lesbar zu machen». Man hat sich viel Mühe gegeben. Von 410 Druckseiten, die der Originaltext von Karl May in dieser Ausgabe hätte haben müssen, verblieben sage und schreibe 276. Auf der Strecke blieb auch die Beschreibung des legendären Henrystutzens. In den Gesammelten Werken des Karl-May- Verlages kommt sie nicht mehr vor.
«Karl Mays Werke» heißt ein Buch, das der Verlag Neues Leben Berlin im Frühjahr der Öffentlichkeit präsentiert hat. Hinter dem lakonischen Titel verbirgt sich eine Lektüre, die spannend ist, als sei sie aus der Feder Karl Mays. Ist sie aber nicht, sie stammt von Klaus Hoffmann. Der in Dresden bei Radebeul gebürtige Autor folgt“ seit längerem den Spuren von Old Shatterhand und Winnetou. Er ist Mitglied der internationalen Karl-May-Gesellschaft, Autor von Forschungsbeiträgen und anderen Publikationen über May, Herausgeber kommentierter Faksimile-Ausgaben. Nun hat er sich eingehend mit Textgeschichte, Textbearbeitung und Textkritik des Werkes von Karl May auseinandergesetzt. Sein Buch hat es in sich. Wie im Falle des Henry stutzens hat er das gesamte Werk des Mannes aus der(«Villa Shatterhand» in Radebeul kritisch unter sucht, diverse Ausgaben verglichen. Es ist eine profunde Recherche. Und das Ergebnis ist so, dass der ahnungslose May-Leser nur mit offenem Munde staunen kann: Im Verlaufe von rund einhundert Jahren ist an Mays Werk derartig wild geändert und gestrichen, umgeschrieben und hinzugedichtet worden, dass sich die Buchstaben biegen. Das hat schon zu Mays Lebzeiten begonnen. Im Nachwort von «Winnetou III» klagt May im Jahre 1893. «0 diese Redakteure? Lieber Leser, hast Du eine Ahnung davon,... in welcher Weise viele von ihnen mit den Manuskripten ihrer Mitar beiter verfahren? Da verlängerte einer dieser Herren eine meiner Reiseerzählungen um zwei volle Kapitel... Einem anderen geht der Raum aus, und flugs schiebt er, wie man Karten mischt, zwei Erzählungen zu einer zusammen, läßt die Hälfte der Personen plötzlich sterben und bringt diese Mixtur dann zu einem Schluß, über den ich ... die Hände ringen möchte».
Nachdem Karl May die Feder für immer aus der Hand gelegt hat, ging es erst richtig los. So erschien im Karl-May-Verlag Band 50 der Gesammelten Werke unter dem Titel «In Mekka», zu dem laut Hoffmann «der Radebeuler Erzähler nicht mehr beigetragen hatte als die Namen einiger handelnder Personen». Verfasser dieses Buches war ein Kaplan Franz Kandolf, dem der Verleger Dr. Euchar Albrecht Schmid schriftlich den Hinweis gegeben hat. «Vergessen Sie nicht, daß Sie diejenigen, die umgebracht werden müssen, auf eine schöne und wirkungsvolle Weise zu töten haben ...»
Dabei hatte May sinngemäß immer wieder dies betont. «Und wagt es jemand, auch nur eine Zeile meines Manuskriptes zu ändern oder gar sogenannte Verbesserungen anzubringen, so bekommt er keinen einzigen Buchstaben mehr von mir.»
In Hoffmanns Buch wird hieb- und stichfest geschildert, wie Karl May im Laufe der Zeiten gewissermaßen literarisch skalpiert worden ist. Da werden diverse Personen und Verlage genannt. Im Mittelpunkt aber stehen der Dr. Euchar Albrecht Schmid, zu dem, wie es heißt, Karl May im Jahre 1911 gesagt habe, «Sie sollten mein Verleger werden!», und schließlich Schmids Erben vom Karl-May- Verlag in Bamberg, mit dem die verlegerische Arbeit des ursprünglich in Radebeul angesiedelten Verlages fortgesetzt wird. Und der Bamberger Verlag hat nun im Wege der einstweiligen Verfügung einen Beschluss des Landgerichts Nürnberg- Fürth erwirkt. Dem Verlag Neues Leben, der bekanntlich ebenfalls seit Jahrzehnten Karl May verlegt und in seiner Edition gerade Band 66 herausgebracht hat, wird unter anderem untersagt, von einer «Ver legerlegende» zu sprechen und May-Ausgaben aus dem Bamberger Verlag als «verfälschend» zu bezeichnen - was in Hoffmanns Buch geschehen ist.
«Karl Mays Werke» von Klaus Hoffmann liegen nun also - bis auf die vor der einstweiligen Verfügung bereits an die Buchhandlungen gelieferten Exemplare - vorerst auf Lager. Sie dürfen nicht weiter ausgeliefert werden. Schade um diesen originellen Beitrag zur Biografie des berühmten Sachsen. Aber ist das letzte Wort schon gesprochen - mit oder ohne Henrystutzen?
Klaus Hoffmann: Karl Mays Werke. Textgeschichte Textkritik. Verlag Neues Leben. 336 Seiten, 24 Abbildungen, gebunden, 42 DM.
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