Die EU müsste Vorreiter sein

Lutz Weischer von Germanwatch über den langen Weg zu einem Klimaschutzabkommen

  • Lesedauer: 5 Min.
Ausgerechnet in der Hauptstadt des Kohlelandes Polen beginnt heute der 19. UN-Klimagipfel. Vertreter von 194 Staaten beraten bis Freitag nächster Woche in Warschau über Schritte zu einem neuen globalen Klimaschutzabkommen. Ziel ist es, die Erderwärmung auf gerade noch beherrschbare zwei Grad zu begrenzen. Erst vor wenigen Tagen hatte der Weltklimarat IPCC darauf hingewiesen, dass dieser Wert ohne Gegensteuern deutlich überschritten wird.

nd: In der globalen Klimaschutzpolitik wird es erst 2015 wieder richtig ernst - dann sollen die Regierungen ein neues globales Klimaschutzabkommen beschließen, das 2020 in Kraft tritt und CO2-Minderungsziele für alle Staaten umfasst. Braucht es den heute in Warschau beginnenden UN-Gipfel dann überhaupt?
Weischer: Ja, den braucht es, um jetzt den genauen Fahrplan auf den Weg zum Gipfel in Paris 2015 festzulegen und mehr Klarheit in den internationalen Verhandlungsprozess zu bringen. Dieses Ziel, bis 2015 ein Abkommen auszuhandeln, mit dem es der Weltgemeinschaft gelingt, die Treibhausgase so weit zu senken, dass wir die gefährlichsten Auswirkungen des Klimawandels verhindern können, ist ja eine Mammutaufgabe. Das wird Zeit brauchen. Irgendwann müssen die Staaten anfangen, Angebote auf den Tisch zu legen, um wie viel sie bereit sind, ihre Emissionen zu verringern. Dafür sind ein Zeitplan und auch Klarheit nötig, wie diese Angebote überhaupt aussehen sollen und welche Kriterien erfüllt werden müssen, damit sie miteinander vergleichbar sind. Wenn man diese Entscheidungen jetzt nicht trifft, dann ist es ganz schnell 2015 und man versucht, in der letzten Nacht alles zu regeln, und das wird nicht gelingen.

Das Abkommen soll freiwillige Minderungsziele der einzelnen Staaten zusammenfassen. Mit den bisherigen Klimaschutzzielen der Staaten würde sich die Erde gegenüber der vorindustriellen Zeit um vier Grad Celsius bis 2100 erwärmen. Zwei Grad sind aber das Maximum, damit die Folgen des Klimawandels noch einigermaßen beherrschbar sind. Sehen Sie eine Chance, die gewaltige Lücke zu schließen?
Ja, die Chance besteht. Es gibt ja auch hoffnungsvolle Zeichen bei der Klimapolitik in mehr und mehr Staaten, die sich bisher nicht als Vorreiter hervorgetan haben. Aber die Hoffnung besteht nur dann, wenn es uns gelingt, über die nationalen Emissionsminderungsverpflichtungen auch internationale Verhandlungen zu führen. Auch deswegen sind die Konferenzen jetzt in Warschau und nächstes Jahr in Lima wichtig. Die Länder müssen jetzt ihre ersten Angebote auf den Tisch legen. Dann wird man sehen, ob es reicht, das Zwei-Grad-Limit einzuhalten, oder ob alle ihre Angebote erhöhen müssen.

Bisher gab es zwei Haupthindernisse für echte Fortschritte. Zum einen waren die Regierungen vieler Industriestaaten nur dann bereit, mehr für den Klimaschutz zu tun, wenn alle mitmachen. Zum anderen sagen die Regierungen von Schwellen- und Entwicklungsländern zu Recht, da wir historisch für den Klimawandel nicht verantwortlich sind, müssen wir auch die CO2-Emissionen nicht senken. Sehen Sie Anzeichen, dass die starren Fronten aufgeweicht werden können?
Ich sehe die Möglichkeit, zu einer neuen globalen Einigung zu kommen. Man muss bedenken, dass in Warschau auch darüber verhandelt wird, was vor 2020 passieren soll. Dabei geht es um Emissionsminderungen und auch darum, wie die Industriestaaten die Entwicklungsländer finanziell und mit Technologie beim Klimaschutz unterstützen. Zugesagt ist, bis 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar zu erreichen, die aber auch tatsächlich bereitgestellt werden müssen. Wenn der gute Wille der Industrieländer hier klar erkennbar ist, dann kann es gelingen, ein globales Abkommen für die Zeit nach 2020 zu beschließen. Hierbei müssen die Verpflichtungen der einzelnen Länder nach deren Leistungsfähigkeit und ihrem Beitrag zur Verursachung des Klimawandels festgelegt werden. Dies ist ein weit differenziertere Betrachtungsweise als die Einteilung in zwei Gruppen.

Es gab seit 2007 schon mehrere Versuche, zu einem neuen Klimaschutzabkommen nach Auslaufen des Kyoto-Protokolls zu kommen, die alle im Sande verliefen. Warum sollte es diesmal anders kommen?
Ich bin vorsichtig optimistisch. Die Verhandlungen finden gerade in einer relativ konstruktiven Atmosphäre statt. Es gibt einen Zeitplan und es gibt vor allem interessante Entwicklungen außerhalb der Verhandlungen: Die Kosten der erneuerbaren Energien entwickeln sich stark nach unten und die Kosten und Risiken der fossilen Energien werden immer deutlicher. Außerdem treten die Folgen des Klimawandels drastischer zu Tage. Das alles führt dazu, dass es sich für mehr und mehr Regierungen lohnt, in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren. Dadurch wird es einfacher, sich auf einen globalen Fahrplan zu einigen. Dazu braucht es aber Vorreiterallianzen von Staaten, die Pionierarbeit leisten und zeigen, dass Klimaschutz machbar ist und sich auch wirtschaftlich lohnt. Wie es Deutschland im Bereich der erneuerbaren Energien tut.

Aber gerade in Deutschland ist die Energiewende doch stark unter Beschuss geraten. Es gibt Bestrebungen, diese wieder zurückzudrehen. Hätte dies nicht negative Folgen für die internationale Klimapolitik?
Auf jeden Fall, das gilt sowohl für die EU als auch für Deutschland. Beide hatten in der Vergangenheit immer wieder eine Vorreiterrolle gespielt und formulieren diesen Anspruch weiter an sich selbst. Ein Vorreiter ist man aber nur dann, wenn man seine Hausaufgaben erledigt. Das heißt, die Energiewende darf nicht abgebremst werden und die EU muss endlich den Emissionshandel so reformieren, dass er wieder funktioniert.

Müsste die EU nicht beim Gipfel in Warschau endlich ihr eigenes, leicht erreichbares Ziel erhöhen, die CO2-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu senken?
Aus Sicht von Germanwatch ist das absolut überfällig. Das 20-Prozent-Ziel ist heute schon erreicht. Wenn es bei dieser Selbstverpflichtung bleibt, hieße das, sechs Jahre nichts zu tun. Das ist das Gegenteil einer Vorreiterrolle. Man muss auf UN-Ebene aus der Selbstblockade nach dem Motto, wer sich zuerst bewegt, hat verloren, herauskommen und eine positive Dynamik erzeugen. Da ist eindeutig die EU am Zug. Die kann nur handeln, wenn die Koalitionsverhandlungen in Deutschland zeigen, dass die Regierung anders als in den letzten beiden Jahren nicht auf der Bremse steht.

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