Die tückischen Gewässer der Dreifachherrschaft
Als »Buchminister« der DDR eine schillernde Gestalt: Klaus Höpcke wird achtzig
Er wollte Minister werden. So müsste man die Anfangszeile von Hermann Kants Roman »Das Impressum« abwandeln, wenn man über Klaus Höpcke nachdenkt, der - trotz heimtückischer Krankheit - einem strapaziösen politischen Leben nun 80 Jahre abgerungen hat. Höpcke wurde Minister, der Buchminister der DDR, und er brachte ein paar Eigenschaften mit auf diesen Marktplatz der Eitelkeiten, die hervorhebenswert waren.
Höpcke war ein viel größeres Kaliber, als man es gemeinhin in Sachen Kultur in Funktionärskreisen der DDR antraf. Er war hochgebildet, gesegnet mit rhetorischer Strahlkraft und geschliffener Rede. Kaum konnte man sich an einen Theater- oder Opernbesuch, an ein bedeutendes Konzert erinnern, wo er nicht anzutreffen war. Er hatte eine kurvenreiche Karriere hinter sich. In Leipzig hatte er Journalistik studiert, war führender Jugendfunktionär im Bezirk geworden, hatte in der Parteileitung der Leipziger Universität das Fach Agitation und Propaganda besetzt. Er galt als knallharter Mann, als Durchreißer, als wortgewaltiger Klassenkämpfer, nicht ungewöhnlich für die Generation der 50er Jahre, die Zeit des Umbruchs. 1964 wurde er Leiter des Feuilletons der Tageszeitung »Neues Deutschland«, die für alle Lebensbereiche im Land den Ton angab. Höpcke wurde dort Kolumnist in Sachen Kultur, rührte Fettnäpfchen an und trat selber in welche hinein. Gewitzter und feinsinniger kam er heraus. Er kam ins Gedränge zwischen den Interessen der Partei und denen der Literaten und Künstler, blies mal zum Angriff, ein ander Mal zur Verteidigung und genoss die Attacke wie das Versöhnungsritual. Ob er Schaden anrichtete oder Vergnügen auslöste, beides schien ihm recht zu sein, wenn es mit seinen Überzeugungen übereinstimmte. Ein gespaltener Mann.
So zog er 1973 ins Ministeramt, als Stellvertreter des Kulturministers und Leiter der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel, die man schlechthin als Zensurbehörde der DDR ansah. Höpcke unterwarf sich den Gewohnheiten der Zensur und bezweifelte sie. Er schrieb viele gescheite Aufsätze zur Literatur und lobte sein Leseland DDR, ob zu Recht oder nicht. Damals wussten wir alle nicht, ob das nur eine Schimäre war, beschwerlicher Weg in ein Traumland, den ein paar reale Zahlen stützten: die weitverzweigten Bibliotheken in Stadt und Land, das nach Literatur lechzende Publikum, das nachdenken wollte über die Welt und seine eigenen Verhältnisse. Freilich wundert man sich heute darüber, wie dies lesende Staatsvolk, das Höpcke stets auf den Sockel hob, wenige Jahre später zurücktaumeln konnte in die Kaschemmen der »Bildzeitung« und die grauen Zelte des Dschungelcamps, wenn es das Lesen als das größte Vergnügen empfunden hätte, als vornehmste Form seiner inneren Bedürftigkeit? Die Frage bleibt offen.
Höpcke wollte, dass die »Helden« seiner Zeit, genauer: die Helden des sozialistischen Zeitalters, auch die Helden der Literatur werden und merkte zugleich, dass es Helden genug gab, die in dieses Weltbild nicht hineinpassten. Das Leben ließ sich eben nicht nur immer auf den eigenen Nenner bringen, beschränken auf die Barrikaden der Revolution und den sogenannten gesellschaftlichen Fortschritt. Die Leute in den Dachkammern der Vereinzelung gehörten genauso dazu. Auch Rebellion war Teil des Lebens. Höpcke wusste das alles. Er wehrte sich häufig gegen sich selbst, indem er drohte, polemisierte, schimpfte, schmeichelte, flirtete, hofierte - und alles zusammenrührte, um ungeschoren durch die tückischen Gewässer der Dreifachherrschaft zu kommen - von Staat, Partei und dem eigenen Verstand.
Er wusste, dass die Literatur nicht einfach das Leben noch einmal war, wie er es manchmal predigte, sondern dass sie mehr, viel mehr sein musste, dass sie ein Bild der Wirklichkeit mit sich zu führen hatte, wie es Peter Hacks forderte, »das der Gegenwart widersprach« und dass sie manchmal von Dingen erzählte, die sie gar nicht wollte. Diesen Widerspruch zu akzeptieren, beschreibt die Wandlung von Höpckes eigener Persönlichkeit. Er lebte nicht von Meinungen, »Meinung sei Masse«, notierte Stefan Zweig, »Überzeugung sei der Mensch«. Höpcke war Überzeugung. Die duldete keinen Opportunismus, auch wenn die Alltäglichkeit des Handelns manchmal danach aussah, das Rochieren, das Stillehalten, das Befehlen, das Lächeln, der Unglaube gegenüber dem, was man ausführte. Als es zum Knalleffekt kam, die DDR in allen Fugen zu knirschen begann, fand man ihn auf der Seite Vaclav Havels, den Intellektuellen beim Intellektuellen, den Kritiker der Literatur beim Literaten, den Zensor beim Verfechter der Meinungsfreiheit. Es war kein Widerspruch. Es war Überzeugung - und folgerichtig.
Man staunt, welch schillernde Gestalten die DDR hervorgebracht hat, und offenbar sind deren Akteure nicht immer nur in grauen Lumpen herumgelaufen. So bleibt Höpcke im literaturbeflissenen Kardinalskollegium seiner Zeit einer der janusköpfigen, unbequemen Honoratioren. Wer es böse mit ihm meint, dem erscheint er gar als advocatus diaboli, aber was will das schon heißen in einer Welt voller Teufel. So sei also gegrüßt, Freund der Bücher und der Literatur.
Elmar Faber war ab 1975 Verleger von Edition Leipzig, von 1983 bis 1992 stand er an der Spitze des Aufbau-Verlags, seit 1990 betreibt er den Verlag Faber & Faber.
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