Gute Energie im Haus
Dem Architekten Wolf-Rüdiger Eisentraut zum 70. Geburtstag
Wie soll ein kleiner Zeitungsartikel das Lebenswerk eines aufgeweckten und freigeistigen Stars der DDR-Architektur gebührend würdigen? Wie soll man einen beschreiben, der seit 50 Jahren Ahnung von dem hat, was er macht? Jemanden, der selbst journalistisch-aufklärende Texte zum Städtebau Ost (für alle, die nicht dabei waren) verfasst und berühmte Leute interviewt hat. Jemanden, der baut und nicht viel redet. Aber auch das Reden beherrscht wie kein zweiter Architekt in diesem Land. Am Sonntag wird Wolf-Rüdiger Eisentraut 70 Jahre alt.
Das Ausdrucksmittel des Architekten ist ja bekanntlich nicht die Sprache, sondern die Zeichnung. Der gebürtige Sachse ist, wenn man so will, der Harald Schmidt der Deutschen Architekturszene, Ost und West. Und dann heißt der Architekt auch noch »Eisentraut«.
Die Aufzählung seiner Werke würde hier den Rahmen sprengen. Eine kleine Auswahl der Bauten, an denen er beteiligt war: das Foyer und Theater des Palastes der Republik, das Universitätsgebäude (jetzt in privater Hand) am Leipziger Augustusplatz, der Jentower in Jena, das skulpturale Rennsteig-Hotel (abgerissen) in Oberhof und die Innenstadt Schwerin. Auch für halb Marzahn zeichnet der ehemalige Architekturprofessor verantwortlich, der sich gern auch mit seinem Titel anreden lässt: das Kaufhaus am Helene-Weigel-Platz, das Rathaus, der Wohngebietspark, die Ringkolonnaden, die Galerie M (die im Januar 2014 vom Eigentümer, der Degewo AG, abgerissen werden soll), das Kino Sojus und sein populärstes Bauwerk: das Freizeitforum Marzahn.
Das Freizeitforum mit angrenzender Schwimmhalle, Studiobühne und großer Bibliothek war zur sogenannten Wende 1989 noch nicht fertig und wurde anders beendet als vorgesehen. Es gibt viele Austritte zum Dach, Betreten verboten. Die damals geplante Dachterrasse wurde nicht gebaut. Über den Einsatz von Dachflächen zur Verbesserung des Stadtklimas schrieb er schon 1985 einen Aufsatz. »Ich habe die Angewohnheit, erst einmal größer zu planen. Es wird sowieso immer etwas weggekürzt. Das habe ich bei Herrmann Henselmann gelernt.« Dort hat Wolf-Rüdiger Eisentraut nach seinem Studium an der Technischen Universität Dresden seine Lehrjahre verbracht. Kopien - so wie die DDR-Kulturhäuser in Unterwellenborn, Suhl oder Rüdersdorf - sind nicht seine Sache. Er will sich auch nicht auf spezielle Bauaufgaben festlegen lassen. »Es wäre doch langweilig, nur Krankenhäuser zu bauen.« Diesen Satz kann er sich leisten. Seine größten Aufträge bekam er zu DDR-Zeiten, heute sind das seine Referenzen.
Eisentraut, der stets das individuelle Wohnen in der Platte zu denken versuchte, entwickelte nach der Wende ein »Demontage-Verfahren«, um Plattenbauten zu verkleinern. »Das ganze dauerte genau zwei Tage. Die Menschen konnten wohnen bleiben, gingen tagsüber in die Kneipe, falls ja mal eine Platte herunterfiele.« Seit 1991 baut er neu, um und aus: Wohnhäuser, Wohngebiete, Hotels, Museen, von Cuxhaven am Meer bis Schierke am Brocken.
Eines seiner Büros betreibt der Architekt in seiner ehemaligen Heimat Plauen. Dort hat er den Stadtumbau Ost mit einer städtebaulichen Planung vorangetrieben, etliche neue Wohnhäuser realisiert, umgebaut, saniert, Plattenbauten abgetragen und an anderer Stelle wieder für ein Wohnhaus eingesetzt.
Direkt an der Deutschen Oper in Berlin sitzt der Wahl-Charlottenburger selbst jeden Tag am Schreibtisch: »Wenn die Leute am Abend zu ›Don Giovanni‹ hereinströmen, sitzen wir da und zeichnen und zeichnen. Danach verlassen sie den Ort, und wir, wir zeichnen immer noch.« Frustration klingt nicht an in diesen Worten. Den »Don Giovanni« hat der Opernliebhaber bereits gesehen.
Sein Anliegen ist es, nicht überdimensional, sondern für den menschlichen Maßstab zu bauen. Auch geht es nicht darum, sich ein Denkmal zu setzen: »Ich habe kürzlich mal ein Ehepaar getroffen, für das ich zu DDR-Zeiten ein Haus gebaut habe. Die Ehe hält immer noch.« Eisentraut lacht: »Gute Energie im Haus.« Von guter Unterhaltung mit wenig Text versteht er was.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.