Ein Ministerialrat auf Abwegen

Dubiose Geldübergabe in der bayerischen Staatskanzlei - ein Prozess in München gewährt bizarre Einblicke

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Tagsüber arbeitete Clemens L. für den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, nachts ging er auf Geldsuche für eine angebliche »Prinzessin«. Es folgte der Abstieg bis hin zum Knast.

Was geschieht in der bayerischen Staatskanzlei, der Trutzburg der CSU, aus der so seltsame Ideen wie die Pkw-Maut für Ausländer kommen? Einen sehr kleinen, aber äußerst bizarren Einblick in das dortige Treiben gewährte am Dienstag die Fortsetzung eines Prozesses wegen Betrugs vor dem Oberlandesgericht München. Dabei ging es zum Beispiel um 100 000 Euro, die von einer Mutter in der Plastiktüte in die Staatskanzlei gebracht wurden und um die Leiden und Begierden eines Ex-Ministerialrats.

Wegen Betrugs ist Christine S. angeklagt, sie soll als angebliche »Prinzessin« aus dem italienischen Hochadel ihren Ehemann kurz nach der Heirat wie eine Weihnachtsgans ausgenommen haben. Mit dabei als ihr Adoptivvater war der Ex-Ministerialrat Clemens L., Jurist in der Abteilung C1 des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Der inzwischen wegen Betrugs rechtskräftig Verurteilte war aber nicht nur Täter, sondern zugleich auch Opfer. Es ist schwer festzustellen, welchen Reizen der 24-jährigen Angeklagten der Ehemann sowie der Adoptivvater mutmaßlich zum Opfer fielen: Auf der Anklagebank sitzt eine eher unscheinbare, kleine Person, die sich hinter der Leibesfülle ihres Anwalts verbirgt. Sie stammt, wie die Vernehmung des leiblichen Vaters ergibt, aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, die Eltern geschieden, der Vater Gastronom in der Provinz.

Gegen 2002 lernte sie den Ministerialrat Clemens L. kennen. Vor Gericht ging es unter anderem um das Erbe der Großmutter der Angeklagten. Die war 2006 in einem Pflegeheim untergebracht und wurde dort von der Angeklagten in Begleitung von Clemens L. besucht. »Der ist dort aufgetreten, er sei von der bayerischen Staatsregierung«, berichtet der leibliche Vater der Angeklagten, der sich um sein Erbe gebracht sieht: Tochter und Ministerialrat hätten nach dem Tode seiner Mutter deren Konten leer geräumt. Er habe nicht einmal seinen Pflichtteil bekommen, es läuft ein Vollstreckungsverfahren gegen seine Tochter. Dann tritt der Bruder des Ex-Ministerialrats vor den Richter und berichtet von dessen Leidens- und Tätergeschichte. Clemens L. kommt aus einem Elternhaus, in dem der Doktortitel quasi mit der Muttermilch eingesogen wird. Der Vater ist ein angesehener Rechtsprofessor, in Münchner Juristenkreisen wohl bekannt. Überhaupt scheint es sich hier um ein Juristen- und Doktorendrama zu handeln, bei dem das wohlhabende Bürgertum in seltsame Abgründe hinabgezogen wird.

Ministerialrat Clemens L. jedenfalls lernte 2002 die Angeklagte kennen, er sei sehr verliebt gewesen, berichtet der Bruder. Was dann folgte, ist der Abstieg des Juristen bis hin zum Knast. Der Bruder habe sich immer mehr von der Familie zurückgezogen. 2003 habe er geäußert, er habe keine Lust mehr, weiter so zu leben wie bisher. Er wollte der Angeklagten seine Eigentumswohnung überschreiben, doch der Vater hat ein Einspruchsrecht und machte davon Gebrauch. In der Folge forderte Clemens L. Geld von seiner Familie, immer wieder. Er tischte eine Geschichte von einem Frankfurter Hinterzimmer auf, in dem er durch Drogen gefügig gemacht worden sein soll, es gehe um unterschriebene Schuldscheine. Schließlich packte seine Mutter 100 000 Euro in eine Plastiktüte und brachte sie ihm in die Staatskanzlei.

Dort arbeitete Clemens L. tagsüber an Expertisen für den Ministerpräsidenten, danach wurde es eher bizarr. Der Bruder berichtete von anhaltenden Geldforderungen gegenüber den Eltern, mal sei es um 40 000 Euro für eine Partnervermittlung gegangen, mal um die Rechnungen für einen Wunderheiler in Frankreich, mal konnte er einen Rückflug nicht bezahlen. Angeblich tauchten immer wieder Schuldscheine auf, die Angeklagte und Clemens L. hätten auch nachts an der Tür der Eltern geklingelt und auch geringe Summen von 100 oder 200 Euro verlangt, damit sie etwas zu essen hätten.

Zwischendurch geht es noch um eine angebliche Geldübergabe in der Schweiz an Erpresser. Clemens L. droht seinen Eltern mit Enthüllungen in der »Bild« und mit Selbstmord, so der Bericht des Bruders. Bis 2009 hätten so die Eltern an die 400 000 Euro gezahlt und seien psychisch völlig fertig gewesen. Schließlich wurde auch die Eigentumswohnung auf die Angeklagte umgeschrieben und Clemens L. zu ihrem Adoptivvater. Danach setzte sich das bürgerliche Drama mit der Ehe der angeblichen Prinzessin mit dem Wirtschaftsjuristen Peter K. fort. Der Prozess dauert an.

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