Emotionen kreieren beim Endverbraucher
Der Konzertveranstalter Berthold Seliger hat eine fulminante Kritik der gegenwärtigen Kultur- und Musikindustrie vorgelegt
»Dudelfunk« beschreibt heute einen Dauerzustand. Sendungen, die vom allgemein üblichen Konzept der Dauerberieselung des Hörers mit Werbung und Schlagern abwichen und die - meist von leidenschaftlichen Redakteuren betreut - ihre Hörerschaft nicht nur mit der immergleichen tristen Mixtur aus Fahrstuhlmusik und »Hits der 70er, 80er und 90er Jahre« beschallten, wurden in den vergangenen Jahren ungeachtet ihrer Qualität aus den Programmen genommen.
Bestes Beispiel hierfür ist wohl die grandiose Radiosendung »Der Ball ist rund« von Klaus Walter, die vor fünf Jahren vom Hessischen Rundfunk nach 24 Jahren Laufzeit eingestellt wurde. Und zwar, um den Sender HR3, wie es seinerzeit hieß, »mehr auf die Mitte und den Mainstream« zu »fokussieren« und ihn »rund um die Uhr durchhörbar« zu machen. Das klang wie eine Drohung. Und man denkt nicht zufällig an Adorno und Horkheimer: »Vergnügtsein heißt Einverstandensein.«
Klaus Walters Fehler bestand darin, nicht einverstanden, aber klug zu sein und in seiner Sendung Musik vorzustellen, die man sonst nirgendwo hören konnte. Musik von den Rändern und solche, der es nicht genügte, Klangtapete für den Nachmittagskaffeetisch zu sein: Garagenrock aus den Vororten von Edinburgh, Polit-Rap aus Finnland, vergessenen Soul aus den Sechzigern. Noch besser: Walter kann bei einer Sorte Musik auch jeweils ihren gesellschaftlichen Kontext begreiflich machen und weiß, dass Musik immer auch sozialer Kommentar ist. Seine Sendung war Bildungserlebnis, Unterhaltung und Polit-Disco in einem.
Heute findet man in privaten oder öffentlich-rechtlichen Rundfunk- oder Fernsehsendern, die zu reinen Abspielstationen mutiert sind, »nicht die Spur von einem Geist und alles ist Dressur« (Goethe). Dass Figuren wie Arno Schmidt, Gisela Elsner oder Adorno einmal im Radio zu hören waren, mag man heute gar nicht mehr glauben. Radiostationen wurden, sowohl in Europa als auch in den USA, zu reinen Wirtschaftsunternehmen umgerüstet.
Darunter leidet schon lange auch Berthold Seliger, von Beruf unabhängiger Konzertagent und -veranstalter. Sieht er doch »Dissidenz und Melancholie« als wesentliche Erkennungsmerkmale aufregender Musik, und zwar von Beethoven und Schubert bis zum Dubstep und Freak-Folk unserer Tage.
In seinem Berufszweig dürften sich nicht allzu viele Marx-Leser finden lassen. Seliger traut sich, in seinem Buch das Wort »Kapitalismus« zu verwenden. Unter dem Titel »Das Geschäft mit der Musik« hat er, der auch regelmäßig als Publizist in Erscheinung tritt, nun eine fulminante Kritik der gegenwärtigen Musik- und Kulturwirtschaft vorgelegt: Gesteuert werde diese heute bis weit in den sogenannten Indie- bzw. Off-Sektor hinein von wenigen Konzernen der Bewusstseinsindustrie, die ausschließlich an Gewinnmaximierung interessiert seien. Monopolisierungsprozesse hätten zur schleichenden Totalverödung geführt. Eine staatliche Kulturpolitik, die sich in Protektionismus und der Förderung von konfektioniertem, langweiligem »Staatspop« (Seliger) gefalle, betrachte Musik ausschließlich als Mittel zur Image- und Standortwerbung. Und der Musik- und Kulturjournalismus insgesamt sei heute nichts weiter als das Anhängsel der werbetreibenden Industrie, von ihr genährt und gepäppelt sowie ihren Vermarktungszyklen unterworfen, der willfährig PR-Artikel schreibende Arm der Konzerne.
Noch in den Siebzigern, erinnert sich Seliger, hätten Rockkonzerte »im Geist der Gleichheit« stattgefunden: »Es gab keine Werbung, nirgends. Keine Logos von Konzernen, keine schrill ballernde Werbung, kein Sponsoring, kein Flyermüll.«
Seliger trauert einer Zeit hinterher, »als es in der Musik um etwas ging, um die Darstellung von Entfremdung, um das Erforschen von Freiräumen«. Heute dagegen habe man es mit einer »Manipulationsindustrie« zu tun, wie er sie nennt: Drei Konzerne beherrschen 80 Prozent des weltweiten Tonträgergeschäfts. Ihren »Künstlermarken« - mit denen sie beim »Endverbraucher« »Emotionen kreieren«, um bestenfalls die »Gewinnzone« anzusteuern - bezahlen die Konzerne bloß ein Taschengeld. Am Ende steht eine »profitorientierte Monokultur, die durch ihre vielfältigen Manipulationsmöglichkeiten die Konsumenten mit einem kulturellen Einheitsbrei füttert«.
Seliger neigt, weil er viel recherchiert hat und mit Herz bei der Sache ist, zuweilen dazu, sich allzu sehr in einem riesigen Wust von Details und dem Vergnügen an der endlosen Auflistung des von ihm gesammelten Datenmaterials zu verlieren. In seinem deutlich zu lang geratenen Kapitel über die Geschäftspraktiken von Konzertveranstaltern und Ticketing-Firmen und deren erfolgreiche Versuche, den Markt zu monopolisieren, werden etwa über 50, 60 Seiten hinweg so viele Zahlen- und Datenkolonnen und Namen von Unternehmen, Tochterunternehmen und Unternehmenseigentümern aufgefahren, dass dem Laien irgendwann der Durchblick schwerfällt. Erholsam ist jedoch, dass hier einer mal nicht das Lied pfeift, das ihm vorgesummt wird.
Berthold Seliger: Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht. Edition Tiamat. 352 Seiten, 18 €.
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