Deutschland und die Zwei-Klassen-Wahlen
Dokumentiert: Was die Wählerstudie über die soziale Spaltung in Berlin, Bremen, Chemnitz und Hamburg sagt
Für die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung vorgelegte Studie über das Wahlverhalten sozialer Milieus wurden Daten aus 28 deutschen Großstädten und darüber hinaus aus 640 Stimmbezirken analysiert. Wir dokumentieren die Kurzzusammenfassungen von vier Fallbeispielen - verlinkt sind jeweils Seiten, auf denen sich Kartenmaterial und weiterführende Informationen finden.
Fallbeispiel Berlin
Mit 72,5 Prozent lag die Wahlbeteiligung in der Bundeshauptstadt Berlin zwar leicht über dem Bundesdurchschnitt (71,5). Dennoch verbirgt sich auch in Berlin hinter dem gesamtstädtischen Durchschnittswert eine starke soziale Ungleichheit der Wahlbeteiligung. Obwohl für Berlin nur eine vergleichsweise grobe Stadtteilgliederung in zwölf Bezirke möglich war, zeigen sich auch hier deutliche Zusammenhänge zwischen dem sozialen Status eines Bezirks und der Höhe der Wahlbeteiligung. Selbst unter den sehr großen Berliner Stadtbezirken ergibt sich ein Unterschied in der Wahlbeteiligung von fast 15 Prozent. Diese demokratische Spreizung hat ebenfalls eine stark soziale Dimension: in den wahlmüden Bezirken gibt es rund dreimal so viele Haushalte aus den sozial benachteiligten Milieus, nur halb so viele Abiturienten und doppelt so viele Menschen ohne Schulabschluss wie in den Wählerhochburgen. - hier
Fallbeispiel Bremen
Innerhalb Bremens existiert ein demokratisches Gefälle von 36 Prozentpunkten zwischen höchster und niedrigster Wahlbeteiligung. Sinkt die Wahlfreude vor Ort auf Tiefstände, so verfünffacht sich im Schnitt die Arbeitslosigkeit, die Zahl der Menschen ohne Schulabschluss verdoppelt sich. Der Anteil der unterprivilegierten Milieus steigt im Vergleich zu den Wählerhochburgen auf das 16-fache. Mit 69,9 Prozent lag die Wahlbeteiligung in Bremen zwar nur knapp unter dem Bundesdurchschnitt (71,5). Darüber hinaus verbirgt sich auch in Bremen hinter dem gesamtstädtischen Durchschnittswert eine erhebliche soziale Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung. Während in gut situierten Stadtvierteln nach wie vor überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen, sind die sozial schwächeren Stadtviertel die Hochburgen der Nichtwähler. - hier
Fallbeispiel Chemnitz
Der sonntägliche Gang zum Wahllokal ist in Chemnitz eine soziale Frage. Erreichte die Beteiligung an der Urnenwahl in wohlsituierten Stadtteilen Höchstwerte, fiel sie in Quartieren mit schwierigeren Lebensverhältnissen umso niedriger aus. Wo die wenigsten ihre Stimme abgaben, stammen durchschnittlich dreimal so viele Haushalte aus ökonomisch schwächeren Milieus, der Anteil jener ohne Schulabschluss liegt um 70 Prozent höher. Zwischen vier- und fünfmal so viele Menschen sind ohne Erwerb. Mit 67,5 Prozent lag die Wahlbeteiligung in der Stadt Chemnitz unter dem Bundesdurchschnitt (71,5). Darüber hinaus verbirgt sich auch in Chemnitz hinter dem gesamtstädtischen Durchschnittswert eine stark ausgeprägte soziale Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung, obwohl für diese Studie nur die Urnenwähler berücksichtigt werden konnten. Die Urnenwahlbeteiligung lag für die Gesamtstadt bei 53,0 Prozent. Eine Einbeziehung der Briefwähler hätte – wie die entsprechenden Analysen anderer Großstädte zeigen – die soziale Spaltung der Wählerschaft noch verschärft. Insgesamt zeigt sich auch für Chemnitz: Während in gut situierten Stadtvierteln nach wie vor überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen, sind die sozial schwächeren Stadtviertel die Hochburgen der Nichtwähler. - hier
Fallbeispiel Hamburg
Die demokratische Schere von über 30 Prozentpunkten zwischen der Wahlbeteiligung in Rothenburgsort und Lemsahl-Mehlingstedt wird noch übertroffen von der sie begleitenden sozialen Spaltung: in den wählerschwächsten Stadtteilen Hamburgs gehören 36-mal mehr Haushalte den sozial benachteiligten Milieus an als in den wählerstärksten. Die Zahl der Menschen ohne Schulabschluss ist doppelt so hoch, die Arbeitslosigkeit erreicht den fünffachen Wert. Mit 70,3 Prozent lag die Wahlbeteiligung in Hamburg leicht unter dem Bundesdurchschnitt (71,5). Darüber hinaus verbirgt sich auch in Hamburg hinter dem gesamtstädtischen Durchschnittswert eine erhebliche soziale Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung. Während in gut situierten Stadtvierteln nach wie vor überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen, sind die sozial schwächeren Stadtviertel die Hochburgen der Nichtwähler. - hier
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.