Plan A und Plan B

Tom Strohschneider über die Haltbarkeit eines Koalitionsvertrages - und was das mit der Basisbefragung der Sozialdemokraten zu tun hat

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir haben keinen Plan B«, wiederholt die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles seit Tagen unablässig. »Wir setzen voll auf Plan A.«

Was die Spitze der Sozialdemokraten als ihren »Plan A« bezeichnet, lässt sich so zusammenfassen: Die Mitglieder machen mit einem mehrheitlichen Votum den Weg in die Große Koalition frei, die sich derart breit legitimiert auf einen Vertrag stützt, in dem die SPD laut Parteichef Sigmar Gabriel »nahe an 90 Prozent« dessen erreicht hat, was man den Wählern im 100-Tage-Programm des Spitzenkandidaten Peer Steinbrück versprochen habe.

Nun ja. An das Wahlprogramm selbst will die SPD offenbar lieber nicht mehr erinnern. Und man muss schon einen sehr weit reichenden Begriff von »sozialdemokratisch« haben, um in den 185 Seiten des Koalitionsvertrages eine Handschrift zu erkennen, die diese Bezeichnung verdient hätte.

Überhaupt: Was ist dieses Schriftstück eigentlich wert - und damit das Votum der Mitgliedschaft der SPD? »Soll die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) den mit der Christlich Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen Union (CSU) ausgehandelten Koalitionsvertrag vom November 2013 abschließen?«, lautet die Frage an die sozialdemokratische Basis.

Doch was ist mit den nicht verzeichneten Nebenabreden, von denen die SPD eine bestätigt hat - und Medien noch weitere aufzählten? Noch bevor überhaupt bekannt ist, wie das Votum der Genossen ausfällt, hat das Kanzleramt außerdem Ende dieser Woche die im Koalitionsvertrag vereinbarte strengere Regulierung der Pharmapreise ab Januar gestoppt. Angeblich gibt es wegen der langwierigen Regierungsbildung Terminprobleme und zudem Verfassungsbedenken. Praktisch sieht es so aus: Zwangsrabatte und die Beibehaltung des Verbots von Preiserhöhungen sind zunächst vom Tisch, es geht für die einflussreiche Pharmarbranche um Hunderte Millionen Euro. Auch in einer weiteren Frage ist der Koalitionsvertrag von der politischen Wirklichkeit wenn nicht überholt, so doch mindestens auf ein andere Gleis gesetzt worden. Nachdem der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes Ende dieser Woche die Vorratsdatenspeicherung als unvereinbar mit der Menschenrechts-Charta der EU begutachtet hat, wollen Union und SPD nun zunächst das Grundsatzurteil zur umstrittenen Speicherung von Verbindungsdaten abwarten.

Wer hier einwendet, dies hätte bei gesundem Menschenverstand ohnehin geschehen müssen, hat das Prinzip Koalitionsvereinbarung nicht verstanden. Er dokumentiert allenfalls einen Diskussionsstand, es werden darin politische Kräfteverhältnisse in ein Sammelsurium von Verabredungen gegossen - die schon morgen nicht mehr gültig sein können. Aus dem Vertrag erwachsen keine rechtsverbindlichen Verpflichtungen, er verhindert nicht, dass die kommende Regierungspolitik bald schon von ganz anderen Zielen dominiert wird. Es muss ja als Beispiel dafür nicht gleich der Mauerfall von 1989 genannt werden, von dem die schwarz-gelbe Koalition zuvor kaum etwas wissen konnte.

Aber auch die Agenda 2010 und die Hartz-»Reformen« standen so nicht in der rot-grünen Regierungsvereinbarung von 2002 - und haben dann doch das Leben von Hunderttausenden gravierend verändert, und das keineswegs zum Besseren. Hätte die SPD-Basis, die bald darauf schon in Scharen die Partei verließ, den Abschluss des zweiten rot-grünen Koalitionsvertrags auf Bundesebene bei einem Mitgliederentscheid verhindert? Wohl kaum.

So bleibt ein zwiespältiges Bild: Indem sie über den Koalitionsvertrag ihre Basis hat abstimmen lassen, erwies die SPD - auch dank der Regionalkonferenzen - der Beteiligungsdemokratie einen Dienst. Das kann den Sozialdemokraten auch durch ein paar Staatsrechtler nicht bestritten werden. Eine Abstimmung über die Politik der nächsten vier Jahre war der Mitgliederentscheid aber nicht. Die kommt spätestens im Herbst 2017. Bis dahin braucht nicht nur die SPD einen »Plan B«.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.