Die Bürde der Prominenz
Joanne K. Rowling schreibt als Robert Galbraith die Tradition des englischen Detektivromans fort
War es ein Marketingtrick? Das musste man sich fragen, als im Juli bekannt wurde, wer sich hinter dem Namen Robert Galbraith verbirgt. Die Vorbestellzahlen schnellten in die Höhe. Im Blanvalet Verlag, wo man eine Rowling-Lizenz niemals so günstig bekommen hätte, herrschte eitel Freude - nur die Autorin zeigte sich erzürnt ob der Indiskretion. Geschah es gegen ihren Willen? Es wäre plausibel. Joanne K. Rowling hat es nicht nötig, Auflagen zu »schinden«. Mit ihrer »Harry-Potter«-Serie hat sie, wie es heißt, eine Milliarde US-Dollar verdient.
Aber vielleicht ging es ihr um die Ehre. Vielleicht wollte sie herausfinden, ob ein Buch von ihr auch unter unbekanntem Namen Erfolg haben würde? Ein Test, der so nun nicht mehr stattfinden kann. Es ist ein gut geschriebener Kriminalroman, aber nichts Einzigartiges wie »Harry Potter«. Und ist der heutige Buchmarkt überhaupt denkbar ohne die großen Vermarktungsmaschinen? Es mag für die Autorin ein angenehmer Gedanke gewesen sein, in Ruhe ein Buch zu schreiben, ohne gleich wieder in einen Trubel hineingezogen zu werden. Sie wollte nicht, dass »Der Ruf des Kuckucks« an »Harry Potter« gemessen würde, so wie es - für sie wohl ein wenig enttäuschend - mit ihrem vorigen Roman »Ein plötzlicher Todesfall« gewesen war.
Die Bürde der Prominenz: Du kannst sie kaum abwerfen. Ihre eigene Erfahrung hat J. K. Rowling zum untergründigen Thema ihres neuen Buches gemacht. Das Model Lula Landry: von den Medien gejagt. Vor ihrem Haus lauern Paparazzi. Sie kann nicht in ein Auto steigen, ohne dass sich die Fotografen an den Scheiben die Nasen platt drücken. Einem armen Mädchen hat sie ein Handy gekauft, um selber damit zu telefonieren. Denn ihr eigenes, so muss sie befürchten, wird abgehört.
Und wie groß ist erst der Rummel, als die schlanke Schöne tot im Schnee liegt, um zwei Uhr morgens vom Balkon ihrer vornehmen Penthouse-Wohnung gestürzt. Sah sie keinen anderen Ausweg mehr - immerhin war sie wegen einer bipolaren Störung in Behandlung - oder war es fremde Gewalt? Der Polizei ist nicht einmal vorzuwerfen, dass sie nachlässig ermittelte. Aber John Bristow, der Adoptivbruder der Toten, will nicht an Selbstmord glauben und engagiert einen Privatdetektiv.
Wie viele Krimis wohl schon so begonnen haben! Joanne K. Rowling bzw. Robert Galbraith hat tradierten Mustern vertraut. »Der Ruf des Kuckucks« ist ein klassischer englischer Kriminalroman, bei dem wir ständig an der Seite des Detektivs sind und seinen Ermittlungen folgen können. Es sind mühsame, akribische Recherchen, Schritt für Schritt kommt Licht ins Dunkel. Indizien enthüllen sich, Zusammenhänge, doch am Schluss ist man trotzdem perplex, wie die Rätsel gelöst werden. Bei einem guten Krimi muss das ja so sein.
Und ein guter Krimi ist dies auf jeden Fall, auf jeder Seite packend, mit interessanten Gestalten. Im Mittelpunkt Cormoran Strike, früher bei einer Sonderermittlungsabteilung der Militärpolizei, nun ziemlich arm dran, nachdem ihm in Afghanistan ein Unterschenkel zerfetzt wurde. Die ganze Zeit fühlen wir mit ihm, wie der Stumpf auf der Prothese reibt. Er kann sich ja auch nicht schonen. Wenigstens kam zu Beginn des Buches die frisch verlobte Robin in sein Büro, als Aushilfskraft über eine Zeitarbeitsagentur. Schon immer hatte sie sich gewünscht, in einer Detektei zu arbeiten, und sie erweist sich dafür auch als ziemlich begabt. Einfühlsam, freundlich ist sie außerdem. Sie rümpft nicht so schnell die Nase, sie versucht zu helfen und zu verstehen.
Mit der Toten kommt eine bestimmte Gesellschaftsschicht ins Bild: Schauspieler, Models, Modedesigner, Rapper, von denen die Fans nur die schönen Masken sehen. Was sich dahinter verbirgt an Exaltiertheiten, Ängsten, Unsicherheiten, Süchten, an Unglück auch, wir dürfen es erahnen. Und dann sind da noch die »ehrenwerten Reichen« - die Familie von Lula Landry, ihre Adoptivmutter, der schon ein kleiner Junge zu Tode kam. Charly: Wie es der Zufall will, hat Cormoran Strike ihn gekannt, als er in London zur Schule gegangen war. Er erinnert sich an das luxuriöse Anwesen der Bristows. Und er denkt an den Tod seiner eigenen Mutter: Hat sie sich aus freiem Willen eine tödliche Dosis verpasst?
Immer wieder erlebt man im Buch, wie nah beieinander Reichtum und Elend liegen und welch tiefe Kluft die Menschen trennt. Not und Verwahrlosung - die Autorin scheut sich nicht, von Nahem zu zeigen, worüber andere hinwegblicken. Der Roman »Ein plötzlicher Todesfall« bezog daraus ja auch einen Teil seiner Wirkung.
Arm geboren und durch glückliche Fügungen reich geworden war Lula Landry. Doch wollte sie unbedingt wissen, wo sie hergekommen war. Sie forschte ihrer leiblichen Mutter nach, die sie weggegeben hatte, ihrem Vater, fand einen Halbbruder. Und brachte aus der Psychiatrie eine Freundin mit, schwarz wie sie selbst, aber unansehnlich und unbedarft. Diese Rochelle kommt auch noch zu Tode.
Schon britische Rezensenten haben die genauen Charakterzeichnungen in diesem Buch hervorgehoben. Für die meisten Leser hierzulande ist es eine ziemlich fremde Welt, eine Welt ohne bürgerliche Mitte. Nicht so für die Autorin; ihr scheinen beide Pole - das Licht und das Dunkel - selbstverständlich. Doch untergründig spürt man ihre Trauer über verschüttete menschliche Möglichkeiten. Auch bei den Reichen und bei den Armen sowieso. Ein Roman voller harscher Gesellschaftskritik.
Die einzige Möglichkeit unter diesen Bedingungen: sich selber treu sein. Lula Landry hat sich zögernd, voller Angst dazu durchgerungen. Cormoran Strike, dem Detektiv, ist das auch nicht in den Schoß gefallen. Und Robin hat diese Fähigkeit schlichtweg geschenkt bekommen. Auch das gibt es.
Ihr Vertrag ist zu Ende, anderswo gibt es eine feste Stelle für sie, aber weil die Arbeit so interessant ist, bleibt sie bei Strike, eben für sehr wenig Geld. Ihr Verlobter sieht es gar nicht so gern, dass sie mit Kriminalfällen zu tun hat. Verlässt sie ihn und verliebt sich in Strike, den sie nicht nur bewundert, sondern auch hilflos kennt? Das wird Joanne K. Rowling womöglich selbst noch nicht so genau wissen. Aber dass Cormoran und Robin auch in künftigen Büchern miteinander zu tun haben, wenn vielleicht auch nur »dienstlich«, kann als sicher gelten.
Vielleicht geht sogar J. K. Rowling Wunsch in Erfüllung, dass der Name Robert Galbraith allein schon für gute Krimis steht, auch wenn man nun weiß, dass es ein Pseudonym ist. Die Entschädigung für den Geheimnisverrat und die weltweiten Tantiemen hat sie übrigens der Organisation »The Soldiers’ Charity« gespendet, weil demobilisierte Soldaten und ihre Familien Hilfe brauchen. So kommt alles zu einem guten Ende.
Robert Galbraith: Der Ruf des Kuckucks. Roman. Aus dem Englischen von Wulf Bergner, Christoph Göhler und Kristof Kurz. Blanvalet. 638 S., geb., 22,99 €.
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