Korruptionsskandal erschüttert Ankara

Türkischer Regierungschef Erdogan unter starkem Druck / Radikaler Umbau des Kabinetts

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 2 Min.
Mit einer großen Regierungsumbildung versucht der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan, eine der schwersten politischen Krisen seiner Amtszeit in den Griff zu bekommen.

Nach Korruptionsvorwürfen hat Ankaras Regierungschef Erdogan am Mittwochabend mit zehn von 26 Ministern fast die Hälfte seines Kabinetts neu besetzt. Die Ermittlungen, die unter anderem mit der Festnahme von drei Ministersöhnen begonnen haben, werden für ihn zu einem immer größeren Problem. Bei spontanen Demonstrationen in Istanbul, Ankara und anderen Städten forderten Tausende den Rücktritt der Regierung. Auch in der eigenen Partei (AKP) wächst die Unzufriedenheit.

Von einer Reise nach Pakistan zurückgekehrt, bezeichnete Erdogan noch am Flughafen auf einer eilig organisierten Kundgebung die Affäre als »schmutziges Intrigenspiel«. Beteiligt seien Kreise im In- und Ausland. Trotzdem mussten der Wirtschaft-, der Innen- und Umweltmister Bayraktar ihren Rücktritt erklären. Letzterer, auch für Städtebau zuständig, behauptet jedoch, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe beträfen Projekte auf Anweisung des Ministerpräsidenten. Viele von der Regierung abhängige Medien wagten es nicht, seine Rücktrittsaufforderung an Erdogan nur zu erwähnen.

Als dieser dann eine neue Kabinettsliste vorlegte, fehlte auch Europaminister Bagis. Erneut beschwor der Premier dunkle Kreise im In- und Ausland, gegen die man nun einen »Unabhängigkeitskrieg« führen müsse. Entsprechend bezeichneten Medien die neue Ministerrunde als »Kriegskabinett«. Es tagte am Donnerstag erstmals. Laut Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu habe Erdogan Politiker geholt, die allein seine Anweisungen ausführen würden. Zudem kritisierte er die Ernennung des neuen Innenministers Ala. Er sei als Staatssekretär im besonderen Maße an der Niederschlagung der Gezi-Proteste beteiligt gewesen.

Derweil scheint die Entlassung von mittlerweile 110 leitenden Polizeibeamten Wirkung zu zeigen. Nach Angaben der Zeitung »Zaman« hat sich die Istanbuler Behörde am Mittwoch geweigert, 30 Personen mit Verbindung zur Regierungspartei festzunehmen. Was sich hier hinter den Kulissen abspielt, ist ein Machtkampf zwischen Erdogan und einem alten Verbündeten, dem Prediger Fethullah Gülen. Dessen Sekte hat Polizei und Staatsanwaltschaft unterwandert, die lange Zeit Erdogans Gegner mit fragwürdigen Methoden gejagt haben. Doch für alle Fälle ließ Gülen auch Dossiers über Erdogans Leute anlegen.

Nun, da ihr Verhältnis einen Tiefpunkt erreicht hat, dürften weitere Enthüllungen folgen; auch gegen einen Sohn des Regierungschefs, der zudem weitere Niederlagen einstecken musste: So hat ein Gericht jetzt sämtliche Baupläne der Regierung im Zentrum von Istanbul für rechtswidrig erklärt, darunter die heiß umstrittene Bebauung des Gezi-Parkes. Gleichzeitig wurde bekannt, dass sich die Verfassungskommission aufgelöst hat, weil die AKP-Vertreter seit längerem den Sitzungen fern bleiben.

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