Gleiche Bezahlung in Ost und West
Gewerkschaft und Arbeitgeber einigen sich auf Branchenmindestlohn für Fleischwirtschaft
Der Branchenmindestlohn in der Fleischwirtschaft kommt. Die frohe Botschaft verkündeten am Dienstag die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und die Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss (ANG) in Berlin. Nachdem die Tarifverhandlungen für die nach Gewerkschaftsangaben insgesamt rund 100 000 Beschäftigten im Dezember ergebnislos beendet wurden, hatten sich ANG und NGG auf »vertrauliche Gespräche« geeinigt, um die strittigen Punkte zu klären, wie es in einer gemeinsamen Pressemitteilung heißt - offensichtlich mit Erfolg.
Ab dem 1. Juli bekommen alle Beschäftigten mindestens 7,75 Euro pro Stunde. Der Mindestlohn steigt dann von acht Euro im Dezember und 8,60 Euro zum 1. Oktober 2015 auf letztlich 8,75 Euro zum 1. Dezember 2016. Unterschiede soll es zwischen Ost- und Westdeutschland nicht geben, was einer der herausragendsten Punkte des neuen Tarifvertrages sein dürfte. Besonders über den Punkt hatten sich der verhandlungsbeauftragte, für die Arbeitgeber in Bremen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt zuständige Verband der Ernährungswirtschaft (VdEW), und die NGG gestritten. Die Arbeitgeberseite hatte im Dezember zuletzt acht Euro pro Stunde ab Juli angeboten, wollte aber, dass der Mindestlohn im Osten niedriger liegt als im Westen. Nach dem ergebnislosen Vertagen der Verhandlungen wiesen sich die Tarifparteien gegenseitig die Schuld zu.
Die NGG habe mit dem Abschluss in drei wichtigen Punkten Erfolg gehabt, sagte Verhandlungsführer und NGG-Vorstand Claus-Harald Güster am Dienstag in Berlin. Das sei zum einen die gleiche Höhe in Ost und West, zweitens sei die Laufzeit ein Jahr kürzer als von den Arbeitgebern ursprünglich gefordert und drittens enthalte der Vertrag eine Verhandlungsverpflichtung ab Juli 2017.
Im Koalitionsvertrag von SPD und CDU sind 8,50 Euro als gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn festgeschrieben, die ab Anfang 2017 eingeführt werden sollen. Dass der neue Branchenmindestlohn mit 7,75 Euro im Einstieg darunter liegt, sei aber keine Kröte, die die Gewerkschaft in den Verhandlungen habe schlucken müssen. »Das war ein Akt höchster Solidarität in der Tarifkommission. Im Westen sind wir einen Schritt zurückgegangen«, damit es die Ost-West-Angleichung gebe, sagte Güster.
Die Geschäftsführerin des ANG, Valerie Holsboer, sprach von einem »Neubeginn« für die Fleischwirtschaft. »Uns als Bundesverband war wichtig, dass die Tarifpartner eine Lösung finden und nicht der Gesetzgeber.« Eigentlich verhandle die Gewerkschaft mit den Landesverbänden des ANG. Nach dem ergebnislosen Verhandlungsende hat indes der Bundesverband die Gespräche übernommen. Alle neun Landesverbände hätten dem Tarifergebnis bereits zugestimmt, so Holsboer.
»Das hat die NGG ganz gut hinbekommen«, sagte der Tarifexperte des Witrschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Reinhard Bispinck, gegenüber »nd«. Es sei der Gewerkschaft gelungen, »alle ihre Kernpunkte auf eine Art durchzusetzen, dass die Arbeitgeber ihre Zustimmung nicht entziehen konnten«.
Für Valerie Holsboer geht es auch um »Transparenz«. »Wir wollten erreichen, dass wir nicht mehr über die Medien mit Fällen konfrontiert werden, die wir nicht nachvollziehen können.« Holsboer ist sich sicher, dass der Abschluss eine Bewegung in Richtung Arbeitgeberverbände nach sich ziehen wird. Bisher waren nicht sehr viele Firmen organisiert, aber bereits während der Verhandlungen Ende letzen Jahres seien die ersten großen Unternehmen beigetreten. »Die kleinen und mittleren werden sich auch anschließen. Es gibt einen Zulauf«, sagte sie.
Die Gewerkschaft warnte dennoch, die Arbeitgeber sollten nicht versuchen, das neue Regelwerk mit neuen Tricks zu umgehen - etwa mit hohen Mieten für Arbeiterunterkünfte oder Lohnabzüge beispielsweise für Werkzeuge. »Wenn wir feststellen, dass es dort Umgehungstatbestände gibt, werden wir uns wiedersehen«, sagte Güster.
Die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit liegt nun in den Händen von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Der neue Mindestlohn würde dann für alle Beschäftigten in der Branche gelten - auch und besonders für Werkvertragsnehmer aus Osteuropa, die in den letzten Monaten wegen der miesen Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhne immer wieder in den Schlagzeilen waren. Im Bereich Schlachten und Zerlegen arbeiten nach Gewerkschaftsangaben rund 23 000 Angestellte plus 15 000 Beschäftigte mit Werkverträgen.
Ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums begrüßte gegenüber »nd« den Abschluss: Man werde »sich dafür stark machen, dass die Branche schnellstmöglich in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen und der tarifliche Mindestlohn für alle Arbeitgeber verbindlich gemacht wird«. Es sei »ein erster wichtiger Schritt der Tarifpartner, um die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Branche zu verbessern«.
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