Wie wir beim FBI einbrachen

Bonnie und John Raines fanden 1971 Beweise gegen den Geheimdienst - ein Bericht

  • Reiner Oschmann.
  • Lesedauer: 6 Min.

Bonnie Raines war beim Einbruch 1971 in das FBI-Büro von Pennsylvania 29 Jahre alt und Mutter von drei Kindern. Sie schrieb jetzt für den Londoner »Guardian« ihre persönliche Sicht auf. »Like Snowden, we broke laws to reveal something that was more dangerous« - wie Snowden haben wir Gesetze gebrochen, um etwas zu enthüllen, was gefährlicher war. Ihren hier leicht gekürzten Beitrag übersetzte für »nd« Reiner Oschmann.

Ich erinnere mich wie heute an meinen Heureka-Augenblick: Es war die Märznacht 1971, in der wir in ein FBI-Büro in Media (Pennsylvania) einbrachen und rund 1000 Dokumente aus dem dortigen Archiv mitnahmen. Wir hatten den Verdacht, dass sich darin belastendes Material befinden würde, weil das FBI unter J. Edgar Hoover so bürokratisch vorging, dass wir annahmen, jede Kleinigkeit, die unter ihm ablief, würde bestimmt festgehalten worden sein. Aber wir konnten nicht sicher sein - und bis wir den Beweis dafür fanden, fühlten wir uns wie auf glühenden Kohlen.

J. Edgar Hoover

»Hoover war kein Monster. Er war ein amerikanischer Machiavelli. Er war clever, er war ausgefuchst, und er hat seine Feinde nie aus den Augen gelassen. Er war ein Gründervater des amerikanischen Nachrichtendienstes und der Erfinder des modernen Überwachungsstaats (…)

Politische Kriegsführung und geheime Staatskunst praktizierte er im Dienst der nationalen Sicherheit und allzu oft auf Kosten der Moral. Kommunismus und Terrorismus bekämpfte er 55 Jahre lang mit Leidenschaft. Jeder aktenkundige Fingerabdruck, sämtliche biografischen und biometrischen Daten in den Datenbänken der Regierung verdanken ihm ihren Ursprung (…) Das FBI besitzt bis heute keine rechtliche Legitimierung, abgesehen vom Eid des Präsidenten, dafür zu sorgen, dass den Gesetzen Genüge getan wird.«

Aus: Tim Weiner, »FBI - Die wahre Geschichte einer legendären Organisation«, S. Fischer Verlag, 2012

 

Ein Aufschrei ging durch unsere achtköpfige Runde. Einer war auf ein Papier aus dem FBI-Hauptquartier gestoßen, das Hoover unterschrieben hatte. Es wies seine Agenten an, Antikriegs-Aktivisten Verhören zu unterziehen, weil »dies die Paranoia anfachen wird, die in diesen Kreisen endemisch ist und weil es außerdem den Eindruck bei ihnen verstärken wird, dass hinter jedem Briefkasten ein FBI-Agent lauert«. Dies war der erste Beweis, auf den wir stießen, und er bestätigte unsere Vermutungen.

Im Rückblick auf das, was wir taten, werden die Parallelen zum Vorgehen Edward Snowdens bei der Veröffentlichung von Dokumenten der National Security Agency deutlich, die die flächendeckende Überwachung von Amerikanern durch die NSA belegen. Ich denke, dass Snowden zu Recht als Whistleblower aufgetreten ist, und ich glaube, dass auch wir Whistleblower waren.

Ich war 29, als mein Mann John und ich uns entschieden, mit den anderen sechs Leuten den Einbruch zu wagen. Ich war Mutter dreier Kinder im Alter von acht, sechs und zwei, und ich arbeitete damals an meinem Abschluss an der Temple University, wo John eine Stelle als Theologie-Professor innehatte.

Wir beide waren stark in der Bürgerrechtsbewegung engagiert. John hatte als freedom rider (Aktivisten, die in Bussen mitfuhren, um die Durchsetzung des Verbots der Rassentrennung zu testen. d.Red.) an Aktionen zur Beseitigung der Rassentrennung in den Südstaaten teilgenommen, und in Philadelphia beteiligten wir uns an Protesten gegen den Vietnamkrieg. Von dort wussten wir, dass das FBI aktiv, ungesetzlich und geheim versuchte, solchen Widerstand zu unterbinden. Wir wussten, dass sie Informanten in die Hörsäle und Seminarräume einschleusten, Versammlungen infiltrierten und Telefone anzapften. Das Problem war: Obwohl wir es wussten, hatten wir zunächst keine Beweise dafür.

Ein Physik-Professor am Haverford College namens Bill Davidon lud einige von uns nach Hause ein. Bill, der im November starb, brachte die Idee in die Runde, etwas zu unternehmen, um Beweise beizubringen. Er sagte plötzlich: »Was haltet ihr vom Einstieg in ein FBI-Büro und von der Entwendung der Akten?« Wenn die Idee nicht von Bill gestammt hätte, der immer so klug und strategisch vorging, bin ich mir nicht sicher, dass wir sie aufgegriffen hätten. So taten wir›s.

Wir fingen an zu überlegen, wie ein Einbruch bewerkstelligt werden könnte. Sehr schnell fanden wir heraus, dass das Hauptquartier des FBI in Philadelphia in einem Hochhaus im Stadtzentrum lag und für uns unerreichbar war. Dann erfuhren wir von Außenstellen in Vororten, und so geriet Media ins Blickfeld. Wir spähten das FBI-Büro in Media etwa drei Monate lang aus. Zwei von uns hielten fest, was sich in und um das Gebäude tat, was für Leute kamen und gingen, wie sich die Polizei verhielt.

Für das letzte Stück Beobachtung wurde ich ausgewählt. Dazu gehörte, dass ich während der Bürozeiten die Sicherungsanlagen im Gebäude checken sollte. Ich rief dort an und vereinbarte mit dem Büroleiter ein Interview. Als Trick sagte ich, ich arbeitete als Studentin des Swarthmore College an einer Studie zu Beschäftigungschancen für Frauen im FBI.

Ich versuchte keinen Verdacht zu erwecken, verbarg meine langen Hippie-Haare in einem Hut, trug während des ganzen Interviews Brille und Handschuhe, selbst wenn ich Notizen machte. Durch diesen Termin fand ich heraus, dass es im Büro keine Sicherheitshürden gab, nichts - selbst die Archivschränke waren unverschlossen.

Ich glaube, es war Bill Davidons Idee, den 8. März 1971 für die Operation zu wählen. Es war die Nacht des Boxkampfes von Muhammad Ali gegen Joe Frazier, und wir vermuteten, dass die Leute Radio hören und die Polizei vielleicht etwas weniger wachsam sein würde.

Vier von uns stiegen in das FBI-Büro ein. Keith Forsyth hatte Probleme, das Schloss zu knacken. Meine Aufgabe in jener Nacht bestand darin, Polizeipatrouillen dadurch abzulenken, dass ich vorgab, mein eigenes Auto habe eine Panne. Glücklicherweise kam die Polizei nicht.

Für die Durchsicht der Dokumente brauchten wir eine Woche. Dann schickten wir sie anonym an Kongressabgeordnete und einige progressive Journalisten. Alle Journalisten, einschließlich der von der »New York Times«, gaben die Dokumente ans FBI zurück und zwar unter dem Druck des Weißen Hauses unter Nixon. Jeder hatte Angst vor Hoover, mit Ausnahme der »Washington Post«. Nachdem die »Post« die Dokumente veröffentlicht hatte, zogen alle anderen nach.

Die Demokratie braucht Whistleblower. Snowden befand sich in einer Position, Dinge zu enthüllen, die niemand bestreiten konnte. Er leistete einen legitimen, notwendigen Dienst. Anders als wir enthüllte er von Anfang an seine Identität und brachte damit ein großes Opfer. Was uns betraf, konnte man uns als Kriminelle bezeichnen - und Hoover tat genau das: Er schäumte und schickte 200 Agenten raus, um uns in Philadelphia aufzuspüren. »Fasst mir diese Frau!«, brüllte er sie an.

Wir wussten selbstverständlich, dass wir das Gesetz gebrochen hatten, aber ich denke, dass man manchmal Gesetze verletzen muss, um Gefahren zu enthüllen und sie zu stoppen. Fünf Jahre lang lebten wir unter der Drohung, verhaftet zu werden. Es gab eine Fahndungszeichnung von mir, die das FBI nach meinem Interview als Studentin von Swarthmore angefertigt hatte, obwohl ich das damals nicht wusste. Fünf Jahre später verjährte der Einbruch, und wir waren erleichtert. Heute wissen wir, dass man die Akte 1976 mangels harter Beweise geschlossen hat.

Ich mache mir noch immer große Sorgen über den Zustand unserer Demokratie. 1971 war das Land gespalten. Es gab viel Unruhe, aber auch viel Entschlossenheit, Dinge zu ändern, und Menschen fühlten sich in der Lage, das zu tun. Heute ist unser Land wieder gespalten, doch ich kann nicht viel Besorgnis über den heute stattfindenden Missbrauch erkennen, wie die Überwachung der Moscheen in Amerika, den Einsatz von agent provocateurs. Ich höre Leute sagen: »Mir doch egal, die Regierung kann tun, was sie will, solange mich das vor Terrorismus schützt …« In meinen Augen bedeutet das aber nichts anderes, als der Obrigkeit einen Blankoscheck zu geben, wieder Grenzen zu überschreiten.

Freiheit für Andersdenken und Rechenschaftspflicht sind das Herzblut der Demokratie, doch viele Menschen denken heute, sie müssten im Namen des »Antiterrorismus« alles schlucken. Regierungsmitglieder meinen, sie können uns und den Kongress anlügen. Das macht mich besorgt um die Zukunft meiner Kinder und Enkelkinder, und das veranlasste mich auch, in meinem Alter über etwas so Drastisches wie den Einbruch in ein FBI-Büro auf der Suche nach Wahrheit zu sprechen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.