Honeckers Mauerprognose
Vor 25 Jahren sagte der SED-Chef der hoch gesicherten Grenze zwischen Ost und West noch eine lange Existenz voraus
Es war ein 19. Januar, die DDR begann Thomas Müntzer mit einem Jubiläumsjahr zu feiern, und selbst Staats- und Parteichef Erich Honecker schwang sich zu einer Rede auf. Natürlich kommen Politiker bei solchen Anlässen gern auf das Aktuelle zu sprechen, und so war es für Honecker nicht all zu schwierig, vom Bauernkrieg zu den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten überzuleiten. Das Wort zappen gab es wohl damals noch nicht. Die Mauer, sagte Honecker schließlich, und das sollte der bekannteste Satz aus dieser Rede werden, die Mauer werde »auch noch in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben«.
Der Satz sorgte damals für Aufsehen in Ost und vor allem in West; zu diesem Zweck war er auch formuliert worden. Heute wissen wir, dass die Mauer – schon der legere Sprachgebrauch ließ aufhorchen, denn ansonsten war vom antifaschistischen Schutzwall oder wenigstens von der Staatsgrenze die Rede – keine 50 Jahre Bestand hatte, sondern gerade mal die reichliche Hälfte. Allerdings war Honeckers Aussage nicht so platt, wie sie meistens kolportiert wird. »Die Mauer wird so lange bleiben, wie die Bedingungen nicht geändert sind, die zu ihrer Errichtung führten«, sagte Honecker auch. Und: Die Mauer werde so lange stehen, bis »die dazu vorhandenen Gründe nicht beseitigt sind«. So viel Dialektik war schon mit im Spiel.
Das Ende der Mauer und der Teilung Deutschlands kam dann ganz anders, als von den SED-Oberen gedacht. Der Sozialismus setzte sich nicht durch, sondern ging unter. Immer mehr DDR-Bürger wollten nicht mehr, reisten aus, flohen in Prager, Budapester oder Warschauer West-Botschaften oder gingen auf die Straße. Womöglich war die Mauer-Äußerung nicht mehr als ein trotziges Aufbegehren. Kaum war die Mauer im Herbst 1989 durchlässig geworden und wenig später ganz gefallen, kaum war der Staatssozialismus zusammengebrochen, riefen irgendwelche Schlaumeier eilfertig das Ende der Geschichte aus. Doch sie sollten sich nicht all zu sicher sein. Inzwischen, angesichts neuer Krisen des Kapitalismus und neuer Bedrohungen, redet davon kaum noch jemand.
Erich Honecker hielt die Rede mit dem berühmten Mauersatz Anfang 1989, vor genau 25 Jahren. Da war der Mauer nicht mal mehr ein Jahr geblieben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.