Volkswerft am Scheideweg
Verband für Schiffbau und Meerestechnik warnt vor Aufgabe des Schiffbaus in Stralsund
Eine Münze unterm Kiel ist ein traditioneller Glücksbringer im Schiffbau. Doch die kleine Münze, die Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) im Juni 2010 bei Kiellegung der ersten Scandlines-Fähre auf den Kielbockträger schob, brachte weder Schiff noch Werft und Landesregierung Fortune. Das Land steht mit 271,2 Millionen Euro an Maximalausfällen vor einem finanziellen Scherbenhaufen. Die Fähren entsprachen nicht den Bauvorgaben - und die P+S-Werft selbst ist seit August 2012 pleite. Der Bau der beiden 2010 auf Kiel gelegten Großfähren brachte den Schiffbaubetrieb letztendlich zu Fall.
Am Dienstag - und damit anderthalb Jahre nach der P+S-Pleite - wollen Landesregierung und Koalitionsausschuss über die Zukunft des Standortes entscheiden. Mit den Nordic-Werften und der Hamburger Windkraftinvestmentfirma New Global Wind liegen zwei Angebote für den traditionsreichen Schiffbaustandort vor, an dem bis zur Insolvenz 1200 Schiffbauer beschäftigt waren. Dabei geht es um die Frage: Wird es nach einem Verkauf noch Schiffbau in Stralsund geben und bietet dieser eine Garantie für eine sichere Perspektive?
Der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) warnt davor, Stralsund als Schiffbaustandort aufzugeben. »Wir haben in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren gewaltige Kapazitäten abgebaut. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht noch mehr Kapazitäten verlieren«, sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Reinhard Lüken. Das Marktsegment sieht er - trotz des ersten Fehlstarts unter P+S - im Spezialschiffbau.»
Bis 1990 wurden auf der Stralsunder Volkswerft rund 1500 Schiffe gebaut - sogenannte Logger zum Fischfang, Gefriertrawler, Fang- und Verarbeitungsschiffe, Frachter. Wirtschaftlich war der knallhart auf die sowjetischen Interessen ausgerichtete Schiffbau abseits des Weltmarktes nicht. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde das Dilemma deutlich. 10 000 Werftarbeiter und Stralsunder gingen 1991 auf die Straße, nachdem auf der Volkswerft für die UdSSR-Fischereischiffe ein Baustopp wegen Zahlungsunfähigkeit des Auftraggebers verhängt worden war. Im Jahr 1994 begann der mit Staatsgeldern finanzierte Umbau des maroden Betriebs zu einer modernen Kompaktwerft. Als der neue Eigentümer, die Bremer Vulkan, 1996 in Konkurs ging, blockierten die Werftarbeiter für zwei Tage den Rügendamm. Die stabilste Phase erlebte die Volkswerft unter dem dänischen Eigentümer A.P.Møller-Maersk zwischen 1998 und 2007.
Rund 950 Millionen Euro flossen nach Angaben des Schweriner Wirtschaftsministeriums von Bund und Land als Zuschüsse seit 1990 in die Werft, davon 800 Millionen bei der ersten und zweiten Privatisierung vor 2000. Für Stralsund und seit 2010 als P+S-Werft mit Wolgast wurden Bürgschaften in Höhe von 700 Millionen Euro abgesichert. Entscheidet sich das strukturschwache Bundesland für den Schiffbau, werden neue Bürgschaften für Schiffbaufinanzierungen gefordert sein - verbunden mit dem latenten Risiko von Ausfällen.
Der VSM plädiert für einen Zuschlag an Nordic Yards, auch weil das Unternehmen in Wismar und Rostock bewiesen habe, dass man aus der Insolvenz einen Neustart schaffen kann. «Stralsund ist eine tolle Werft, und man sollte die Anlage auch für den Zweck nutzen, für den sie gebaut wurde», sagt Verbandschef Lüken.
Die Krisen der letzten 20 Jahren haben sich tief in das Gedächtnis der Schiffbauer gebrannt. Stralsund ohne Schiffbau ist für sie undenkbar. «Unser Ziel ist es, dass es auch künftig Schiffbau in Stralsund gibt», sagt der IG-Metall-Bevollmächtigte Guido Fröschke. Beim Rollout des letzten Schiffsneubaus Mitte Januar legte der ehemalige Betriebsrat Jürgen Kräplin eine Münze unter den rollenden Kielbockträger, um sie als Souvenir pressen zu lassen. So hat er es bereits 1995 getan, als das erste Schiff die damals neue Halle der Volkswerft verließ. Für Kräplin soll es nicht die letzte Münze gewesen sein. dpa/nd
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