Gutes Leben in elf Dimensionen

Mehr als Wachstum: Interaktive OECD-Statistik zum Bürgerwohl nun auch auf Deutsch

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Was ist ein gutes Leben? Seit einigen Jahren suchen Wissenschaftler nach neuen Maßstäben für Glück - auch bei der OECD.

»BIP, BIP, Hurra« - so lautete vor einigen Jahren der weitgehend ironiefreie Text einer Imagekampagne des Landes Baden-Württemberg. Gefeiert werden sollte damit nicht nur der Beitrag des Südwestens zum deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Zumindest als Subtext schwang dabei mit, dass es sich in einem Land mit hohem BIP und einem kräftigen Wachstum desselben wohl auch besser leben lassen müsse als in anderen Ländern. Viele Bürger akzeptieren das BIP selbstverständlich als Messlatte für den Erfolg oder Misserfolg eines Landes - und damit auch für das Wohlbefinden der Menschen. Ist das aber wirklich so?

»Seit Jahrzehnten gilt das Bruttoinlandsprodukt als wichtigstes In-strument, um wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu messen. Viele Aspekte, die das Leben der Menschen prägen, erfasst es jedoch nicht«, heißt es in einer Mitteilung des Berliner Büros der OECD. Die Organisation der Industriestaaten setzt daher seit 2011 auf ein breiteres Indikatorenfeld. Um zu ermitteln, wo das Leben der Menschen inwiefern »besser« ist oder wird, lassen sich die OECD-Staaten im Rahmen der »Better Life Initiative« auf einer interaktiven Internetseite, die stets mit neuen Daten gefüttert wird, in insgesamt elf Kategorien vergleichen: Wohnen, Einkommen, Beschäftigung, Gemeinsinn, Bildung, Umwelt, Regierung, Gesundheit, Lebenszufriedenheit Sicherheit und »Work-Life-Balance«. Ab heute ist diese Seite auch auf Deutsch zu erreichen.

Jede der elf Dimensionen wird dabei nach einer festgelegten Kombination von Unter-Indizes ermittelt - die »Work-Life-Balance« etwa ergibt sich aus dem Verhältnis der Zahl der Beschäftigten mit langen Arbeitszeiten, des Prozentsatzes beschäftigter Mütter und der für Freizeit- und Hobbyzwecke genutzten Zeit. Die »Better Life Initiative« zielt nicht so sehr auf ein »objektives« Ranking. Vielmehr lassen sich die elf Dimensionen individuell gewichten, was je nach Nutzer zu abweichenden Ergebnissen führen kann.

In der Standardeinstellung - wenn also alle elf Dimensionen gleich gewichtet werden - ergibt sich dennoch eine Art Rangliste, in der 2013 Australien das »beste« Leben ermöglichte, gefolgt von Schweden und Kanada. Deutschland dagegen lag nur auf dem 17. Rang unter den 34 OECD-Staaten. Hierzulande wurden insbesondere Demokratiemängel angekreidet: Die Gesetzfindungsverfahren gelten als intransparent und unzugänglich für bürgerliche Mitsprache. Entsprechend hoch wurde die »Politikverdrossenheit« veranschlagt. - speziell in den Unterschichten.

Dass sich das BIP in den Indus-triestaaten zu einer Ersatzreligion entwickelt hat, war der Größe nicht in die Wiege gelegt. Erstmals im Sinne eines Erfolgsindikators wurde das BIP in den USA nach der großen Depression eingesetzt. Doch erst im Kalten Krieg entwickelte es sich zu der zentralen Größe, um die herum die Maßnahmen der Wirtschaftspolitik angelegt werden.

Das hat sich bis heute nicht geändert. Dabei gibt es gerade in jüngeren Jahren viel Kritik an der Fixierung auf den BIP-Indikator, der weder etwas darüber aussagt, wie das Erwirtschaftete verteilt wird - noch darüber, ob die gemessenen Waren und Dienstleistungen wünschenswert sind. So führt etwa ein mehr an Verkehrsunfällen zu einer Steigerung des BIP.

Eine der ältesten Alternativen ist das »Bruttonationalglück« des Königreichs Bhutan, das auf eine sozial gerechte Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung, die Bewahrung kultureller Werte, den Schutz der Umwelt sowie auf »gute« Verwaltungsstrukturen abstellt. Ecuador und Bolivien haben 2008 und 2009 ein ähnliches, indigenes Prinzip des »Sumak kawsay« - des subjektiv guten Lebens - in ihre jeweilige Verfassung aufgenommen.

Auch der Deutsche Bundestag bemühte sich seit Dezember 2010 in einer Enquetekommission um eine BIP-Alternative. Nicht unumstrittenes Resultat - der Abschlussbericht wies an die 50 Minderheitenvoten auf - waren die sogenannten »W3-Indikatoren«, in denen das BIP zwar eine Rolle spielt, aber durch andere Faktoren relativiert wird: Demnach wird der »materielle Wohlstand« anhand des BIP pro Kopf, Einkommensverteilung und Staatsverschuldung ermittelt, ein Bereich »Soziales und Teilhabe« anhand Beschäftigung, Bildung, Gesundheit und »Freiheit« - sowie der Bereich Ökologie anhand von Treibhausgasen, Stickstoffemissionen und Artenvielfalt.

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