Anti-Orbán-Front ist kein Freundesbund
In der Zweckehe des ungarischen Oppositionsbündnisses kommt keine Begeisterung auf
Zu Jahresbeginn hatte sich die zersplitterte ungarische Opposition von Sozialdemokraten und Liberalen zähneknirschend auf ein Bündnis für die Parlamentswahlen im April geeinigt. Doch dies ändert wenig daran, dass die Geschicke der linksliberalen Opposition unter einem schlechten Stern stehen, seit im Frühjahr 2010 das rechtspopulistische Parteibündnis Fidesz/KDNP (Ungarischer Bürgerbund - Christdemokratische Volkspartei) unter Viktor Orbán einen in der neueren Geschichte einmaligen Sieg errungen hatte.
Schon bald nach Orbáns Machtübernahme war es bei der zuvor stärksten politischen Kraft, der Sozialistischen Partei (MSZP), zur Spaltung gekommen. Der ehemalige Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, der bereits 2009 abgedankt hatte, wurde von den Sozialisten endgültig vergrault und gründete eine neue, eher liberale als sozialdemokratische Partei, die Demokratische Koalition (DK). Sein Nachfolger als Premier, Gordon Bajnai, der das Land nach der desaströsen Staatsführung Gyurcsánys im letzten Jahr der sozialliberalen Regierungskoalition mit einem harten Sparprogramm aus der Krise zu führen versucht hatte, zog sich nach seiner einjährigen Regierungszeit zunächst aus der Politik zurück. Doch im Sommer 2012 kündigte Bajnai an, bei den nächsten Parlamentswahlen im Frühjahr 2014 als Herausforderer Orbáns antreten zu wollen. Nicht erst seit diesem Zeitpunkt versucht das Oppositionslager immer wieder, eine vereinte Kraft zu bilden. Allen Umfragen zufolge bevorzugt die Mehrheit der Wähler, die eine Ablösung des konservativen Regierungslagers wünschen, Bajnai als Spitzenkandidaten der Opposition. Nach endlosem Hin und Her ist es nun aber der Parteichef der Sozialisten, Attila Mesterházy, geworden.
Mesterházy war bereits bei den Wahlen 2010, die mit einer erniedrigenden Wahlschlappe für die MSZP endete, als Oppositionsführer angetreten. Er hat sich zwar in seiner Partei eine solide Basis ausbauen können, doch nicht einmal in den eigenen Reihen ist er unumstritten. In den vergangenen dreieinhalb Jahren hat er die MSZP nach orbánschem Muster umgebaut, also streng hierarchisch-zentralistisch. Auf der vereinigten Kandidatenliste für die Parlamentswahlen finden sich von sozialistischer Seite nur seine engsten Vertrauten, was beinahe eine offene Revolte in der Partei ausgelöst hätte.
Wie immer in hoffnungsloser Lage mehren sich auch in der ungarischen Opposition die Verschwörungstheorien. So gibt es Stimmen, die behaupten, Bajnai sei ein Agent Orbáns, dessen Auftrag es sei, einen Erfolg der Opposition dadurch zu verhindern, dass er deren rechtzeitige Vereinigung bremst. Das ist zwar höchst unwahrscheinlich, Ähnliches könnte beispielsweise auch Ferenc Gyurcsány nachgesagt werden, doch dass derartige Fragen überhaupt ernsthaft diskutiert werden, lässt Verunsicherung und Zersplitterung der Sozialistischen Partei erkennen, die trotz allem die größte Anti-Orbán-Kraft darstellt.
Während sich der persönlich farblose Mesterházy immerhin als Politiker von Haltung und Benehmen erweist, ist Gyurcsány eine schrille Persönlichkeit, die sich wenig darum sorgt, welche Worte sie benutzt. Sein oft Fidesz-naher populistischer Ton ist aber auch seine politische Stärke. Viele weniger intellektuelle Wähler fühlen sich von ihm angesprochen.
Gordon Bajnai wiederum, ein liberaler Technokrat, dessen politische Kultur dem, was man in den Führungsetagen der EU am liebsten sieht, wohl am nächsten ist, steht mittlerweile an der Spitze der vor einem Jahr gegründeten Formation mit dem sinnigen Namen »Gemeinsam 2014« (Együtt 2014). Die Bajnai-Partei formierte sich aus drei größeren Organisationen, die allesamt aus dem verzweifelten Versuch entstanden sind, dem Orbán-Regime eine ernsthafte, innenpolitisch nicht von vornherein diskreditierte Opposition gegenüberzustellen.
Die potenzielle Wählerschaft der ehemaligen liberalen Regierungspartei Bund Freier Demokraten (SZDSZ) bewegt sich derweil im untersten Prozentbereich. Ein bekannter Vertreter, Gábor Fodor, hat dennoch einen Platz auf der nunmehr vereinigten Oppositionsliste für die Wahlen bekommen.
Mesterházy, Gyurcsány, Bajnai - die drei oppositionellen Führungspersönlichkeiten passen nicht zusammen und wollen eigentlich auch nicht miteinander, was ihr mehrjähriger Dauerstreit deutlich gezeigt hat. Selbst wenn sie, was äußerst unwahrscheinlich ist, das Regierungslager niederringen würden, ist eine funktionierende gemeinsame Regierung kaum vorstellbar. Das spüren auch jene verzweifelten Wähler, die ihre Stimmen auf keinen Fall noch einmal Orbán geben wollen. Während die Meinungsumfragen darin übereinstimmen, dass Fidesz Monat für Monat mehr Wähler hinter sich zu scharen vermag, gewinnt das linksliberale Oppositionslager praktisch keine Stimmen hinzu. Wären heute Wahlen, erhielte das formal vereinigte Oppositionslager nur halb so viele Stimmen wie der vereinte Kampfkörper des Regierungslagers. Eine ernst zu nehmende linke Alternative gibt es nicht.
Die rechtsradikale Opposition zu Viktor Orbán, die Partei Jobbik, steht laut Umfragen derzeit bei etwa 15 Prozent. Doch sind diese Angaben wenig verlässlich, denn die ultrarechten Wähler verhalten sich bei den Umfragen nachweislich konspirativ.
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