Aussortiert und Spaß dabei
Hoffenheim macht Tim Wiese ein Angebot, dass er nicht ablehnen kann
Schon äußerlich ist Tim Wiese anzusehen, dass er zu Übertreibungen neigt. Immer etwas zu viel Gel in den Haaren, immer etwas zu gut gebräunt. In der vergangenen Woche sagte er: »Ich bin immer noch einer der besten Torhüter der Bundesliga.« Woher er das nur weiß? Sein letztes Pflichtspiel liegt immerhin schon fast ein Jahr hinter ihm. Eine Erklärung kann sein auch stets offen zur Schau getragenes Selbstbewusstsein liefern. Vielleicht wollte sich der 32-Jährige aber auch nur auf dem Markt positionieren – wenn schon nicht sportlich, dann eben verbal. Denn beweisen kann er seine selbst attestierte Klasse nun nicht einmal mehr im Training. Wieses Vertrag bei 1899 Hoffenheim wurde am Dienstagabend aufgelöst.
Seine gewonnene Freizeit sollte Wiese darauf verwenden, seine eigene Internetseite zu aktualisieren. Als besonders negative sportliche Erfahrung steht dort das Achtelfinalaus in der Champions League mit Werder Bremen gegen Juventus Turin im März 2006. In der 89. Minute fängt Wiese den Ball nach einer harmlosen Flanke beim Stand von 1:1 locker ab. Dann aber entscheidet er sich zu einem Sprung, um sich noch zwei, drei mal durch den Strafraum zu rollen. Dummerweise rutscht ihm dabei der Ball aus den Händen – direkt vor die Füße von Emerson, der verwundert aber professionell zum 2:1 für Juve einschiebt. Oft wirkte sein Hang zu Übertreibungen auf dem Platz auch spektakulär: noch einen Schritt nach links, um dann erst richtig nach rechts abheben zu können. Gegen Turin ging es spektakulär schief.
Zweifellos sind die anderthalb Jahre in Hoffenheim das dunkelste Kapitel in der Karriere von Tim Wiese. Schon seine Entscheidung, im Sommer 2012 nach sieben recht erfolgreichen Jahren in Bremen ins Kraichgau zu wechseln, konnten nicht viele verstehen. Aber der Verein von Mäzen Dietmar Hopp hatte den Ex-Nationaltorwart eben mit einem Vertrag bis 2016 gelockt, dotiert mit 3,5 Millionen Euro pro Jahr. Die sportliche Karriere des Tim Wiese bei 1899 Hoffenheim ist schnell dann geschildert. Zehn Bundesligaspiele, eine Partie im DFB-Pokal: Seit dem 26. Januar 2013 ist Wiese Torwart a.D. Entscheidend dafür waren seine Leistungen zwischen den Pfosten. Patzer um Patzer bestätigten das zugegebener Maßen voreingenommene Hoffenheimer Publikum in seiner Ablehnung.
Die Geschichte nach seiner sportlichen Degradierung ist etwas komplizierter. Am Ende steht aber ein Angebot des Klubs, dass selbst Wiese nicht mehr ablehnen konnte: Rund sechs Millionen Euro kassierte der 32-Jährige, um sich endlich vor die Tür setzen zu lassen. Noch Anfang Januar hat er gesagt: »Ich habe hier einen Vertrag bis 2016. Ich möchte meine Chance nutzen.« Eine sportliche Chance hatte er aber schon lange nicht mehr. Dass haben die Vereinsverantwortlichen, die ihrerseits mit einem sinnlos aufgeblähten Kader oder der Trainingsgruppe II auch fragwürdig vorgingen, immer wieder betont.
Als positivste Charaktereigenschaft führt Tim Wiese auf seiner Internetseite »Ehrgeiz« an. Finanziell hat er sicherlich das beste aus seiner Situation herausgeholt. In die Schlagzeilen schaffte er es auch immer noch – auf feuchtfröhlichen Karnevalsfeiern oder polternd in VIP-Räumen von Handball-Bundesligisten. Sportlich verläuft die Suche nach einem ehrgeizigen Torwart Tim Wiese seit längerem allerdings im Sande. Im Training betont lustlos, in der Gruppe der Aussortierten spaßbetont. »Meine Situation ist überragend, ganz entspannt. Ich habe doch ein schönes Leben im Gegensatz zu euch«, gestand er freimütig gegenüber Journalisten im Februar 2013, nachdem er nur noch Torhüter Nummer drei in Hoffenheim war. »Ich denke nicht daran, rechtliche Schritte einzuleiten«, gefiel ihm zu Beginn dieser Saison sein Dasein in der umstrittenen Trainingsgruppe II. Eben, sein Vertragswerk blieb davon ja auch unberührt.
Übertrieben ist das nicht: Tim Wiese ist einer der besten vertragslosen Torhüter der Bundesliga. Neben seiner Schwäche für aalglatte Frisuren, eine knackige Ibiza-Bräune und etwas zu viel Muskelmasse – so erklärt er selbst seine 106 Kilogramm – mag er auch ganz besonders Vierbeiner. »Zurückgezogen leben und Pferde züchten.« So stellt sich Wiese seinen Lebensabend vor, steht auf seiner Internetseite. Klingt gut, und irgendwie besser als auf der Couch zu liegen und fernzusehen. Denn das tat er am liebsten, wenn er nach dem Training nach Hause kam.
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