Osteuropäer werden systematisch ausgebeutet
Soziologe kritisiert skrupellose Firmen in Deutschland: Menschen wie »moderne Sklaven oder Arbeitstiere« behandelt
Mainz. Osteuropäische Beschäftigte werden nach Aussage des Soziologen Mihai Balan in Deutschland in vielen Wirtschaftszweigen systematisch ausgebeutet. Von Wanderarbeitern höre er ständig, dass die Zustände in der Bundesrepublik sogar noch schlimmer seien als in Griechenland und anderen südeuropäischen Krisenstaaten, sagte Balan in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst in Mainz. Die angeworbenen Arbeitnehmer fühlten sich oft wie »moderne Sklaven oder Arbeitstiere« in den Händen skrupelloser Firmen.
Sicherlich gebe es auch Unternehmen, die Arbeitsmigranten zu anständigen Konditionen beschäftigten, sagte Balan, der als Projektleiter beim Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen tätig ist. Die Ausbeutung von Osteuropäern konzentriere sich vor allem in Branchen wie Baugewerbe, Logistik, Reinigungsfirmen und Fleischindustrie: »Diejenigen, die das organisieren, haben teils mehrere hundert Arbeiter unter sich.«
Zum Teil nehme die Ausbeutung sehr brutale Formen an, sagte Balan. Opfer irregulärer Beschäftigung würden manchmal bedroht oder sogar körperlich angegriffen. Sie seien nicht selten so sehr eingeschüchtert, dass sie nicht wagten, für ihre Rechte zu kämpfen.
Die meisten großen deutschen Firmen wüssten um die Zustände bei dubiosen Subunternehmen, kritisierte er. Bei seinen Beratungsgesprächen mit Betroffenen habe er von haarsträubenden Verhältnissen erfahren. So hätten beim Bau eines kürzlich eröffneten Frankfurter Einkaufszentrums Arbeiter überhaupt keinen Lohn bekommen. »Sie mussten die Reise selbst zahlen und wurden nach einem Monat wieder nach Hause geschickt, weil der Subunternehmer angeblich kein Geld hatte«, berichtete Balan. Stattdessen seien einfach neue Arbeiter angeworben worden.
In der Landwirtschaft gebe es Betriebe, die Wanderarbeitern für einen 15-stündigen Tag mit Akkordarbeit 25 bis 35 Euro zahlten: »Es gibt immer wieder Todesfälle, weil bei manchen das Herz nicht mehr mitmacht.« Er habe eine Unterkunft für Saisonarbeiter gesehen, in der sich 60 Beschäftigte eine Dusche geteilt hätten. Oft würden in Werkverträgen auch Normen abverlangt, die in einer normalen Schicht nicht zu schaffen seien.
Bei Gewerbeanmeldungen durch Osteuropäer handele es sich häufig um organisierte Scheinselbstständigkeit, berichtete Balan. Arbeiter aus Mittel- und Südosteuropa würden von mafiösen Strukturen nach Deutschland geholt, wo Mittelsmänner dafür sorgten, dass mehrere Arbeiter sich zu Gesellschaften bürgerlichen Rechts zusammenschließen. Dies habe zur Folge, dass die Osteuropäer bei Baumängeln mit ihrem eigenen Vermögen hafteten. Viele würden aber gar nicht verstehen, was für Papiere sie unterzeichnet hätten.
Angesichts seiner täglichen Erfahrungen habe er kein Verständnis für die aktuelle Debatte um Sozialbetrug und Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien. »Durch die Ausbeutung dieser Arbeitnehmer entgehen dem Staat so viele Steuereinnahmen«, sagte Balan, »das steht in keinem Verhältnis.« epd/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.