Ganz im Ermessen des Amtes

Selbstständigkeit statt Hartz IV - Erfahrungen und Zahlen aus Sachsen

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Eberhard B. warf schon nach wenigen Monaten wieder hin. Nach Jahren der Arbeitslosigkeit und zwei Umschulungen, mit denen sich im realen Arbeitsalltag auch nicht punkten ließ, hatte der Ingenieur die Flucht nach vorn gesucht: Er gründete einen Haushaltservice für Handwerkerleistungen, Fahrdienste, Gartenarbeiten. Wer ihn brauchte, konnte ihn buchen. Und der stets freundliche Sachse wurde viel gebucht. Doch Nebenkosten, unrentable Anfahrtswege und vor allem ein wahnsinniger bürokratischer und steuerlicher Aufwand, den er so nie erwartet hatte, raubten ihm bald die Lust am selbstständigen Tun. Als er gar noch draufzuzahlen begann, zog er die Notbremse.

Der Mittfünfziger ist kein Einzelfall, weder mit seiner Flucht von Hartz IV in die Selbstständigkeit noch mit seiner Resignation: Gut ein Fünftel aller Arbeitslosen, die ihr Heil in einer Existenzgründung suchen, gibt nach Erfahrung der Bundesarbeitsagentur (BA) bald wieder auf.

Zugleich sinkt seit Jahren die Zahl von arbeitslosen Sachsen, die bei der Agentur ein so genanntes Einstiegsgeld für eine beabsichtigte Existenzgründung beantragen. Waren es 2009 noch 1872 Männer und Frauen, so sank diese Zahl 2012 drastisch auf 611. »Verläuft der Arbeitsmarkt wie im Moment positiv, ist die Zahl der Gründungen geringer als in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten«, sagt dazu Frank Vollgold, Pressesprecher der BA-Regionaldirektion in Chemnitz.

Hinzu kamen immerhin noch knapp 1100 zusätzliche Anträge auf »Leistungen zur Eingliederung von Selbstständigen«, worunter etwa Betriebsbeihilfen oder Darlehen fallen, sowie 1620 Wagemutige, die wegen eines Gründungszuschusses im Jobcenter vorsprachen. Aber auch diese Fallzahlen sinken, teils sogar noch deutlich stärker. So standen 7979 sächsischen Neuunternehmern, die 2009 einen Gründungszuschuss ersuchten, im vergangenen Jahr zwischen Januar und November ganze 1621 gegenüber.

Daraus aber auf einen boomenden Arbeitsmarkt zu schließen, ist falsch. Zwar entsprechen die 192 629 Sachsen, die die BA im Dezember in ihren Computern führte, mit 9,1 Prozent einem Wert, der nur noch einen Prozentpunkt über dem von Nordrhein-Westfalen liegt. Doch steht dies - gemessen an den Zahlen von 2009 - in keinem Verhältnis zu der abfallenden Kurve der Finanzspritzen für Existenzgründer im selben Zeitraum.

Die Ursachen liegen also woanders. Zum einen in der Bundesagentur selbst: Sie widmete 2011 den bis dahin als Pflichtleistung gewährten Startobolus in eine Ermessensleistung um. Nicht jeder, der ihn beantragt, erhält ihn auch, und mancher hört schon vorab von seinem Arbeitsberater, dass es zwecklos wäre, überhaupt danach zu fragen. Die Nürnberger Behörde spart damit immerhin rund eine Milliarde jährlich, heißt es im Bundesarbeitsministerium.

Aber es gibt noch einen einen weiteren Grund: So sehr man sich abrackert, der reale Verdienst liegt zu oft noch immer unter den bereits sehr niedrig angesetzten 8,50 Euro, die die Bundesregierung als Mindestlohn avisiert. Ob selbstständige Friseurinnen, Kioskbetreiber oder selbst Anwälte - Hunderttausende Selbstständige oder Freiberufler arbeiten für weniger. Laut einer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin veröffentlichten Erhebung erwirtschaften rund 1,1 Millionen Selbstständige im Lande nicht jene 8,50 Euro die Stunde - mithin jeder vierte.

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