Alter Schlachtruf im neuen Stadion
Folge 27 der nd-Serie Ostkurve: Der Hallesche FC will sich in der 3. Liga etablieren, die Tradition ist dabei hilfreich
Die alte Stadionmauer steht noch, durch die Bögen und das Marathontor strahlt der neue Sportpark. Hinter dem roten Backstein prangt an der neuen Außenfassade der Sponsorenname. Aber: »Die Fans gehen immer noch ins Wabbel-Stadion«, erzählt Klaus Urbanczyk. Nicht nur, weil die neue Arena mit 15 000 Plätzen seit zweieinhalb Jahren auf dem Grund des Kurt-Wabbel-Stadions steht. Tradition wird beim Halleschen FC gepflegt. So waren die Fans an der Stadionplanung beteiligt und setzten sich für den Erhalt der Backsteinmauer ein. Und so ertönt auch im neuen Sportpark immer noch der alte Schlachtruf »Chemiiiie Halle«. Wer bei Heimspielen das Stadionheft kauft, blättert danach im »Chemiker«. Auch heute, wenn der HFC in der 3. Liga Holstein Kiel empfängt.
Klaus Urbanczyk wird auch wieder auf der Tribüne sitzen. Der 73-Jährige arbeitet immer noch für »seinen Verein« - als Scout. Früher war er Spieler und Trainer. Er ist eine Legende beim HFC. »Ich bin furchtbar stolz, in meiner Karriere nur für einen Verein gespielt zu haben«, erzählt der gebürtige Hallenser. In über 270 Spielen lief er auf: erst für den SC Chemie Halle, nach der Gründung des Halleschen Fußballclub Chemie am 26. Januar 1966 in Rot und Weiß und mit dem Halbmond und zwei Sternen auf der Brust. Vereinsfarben und Wappen trägt der Klub noch heute, lediglich das »Chemie« entfiel bei der Umbenennung am 1. Juni 1991. Weggefallen war in der Wendezeit ja auch die Unterstützung durch die Trägerbetriebe.
Wie viele Fotos von ihm auf dem Klubgelände hängen, weiß Urban-czyk gar nicht. »Einige auf jeden Fall.« Ein riesengroßes ist am Aufgang zur Haupttribüne angebracht. Dort sind, außer seinem Bild, nur noch die des langjährigen Kapitäns der DDR-Nationalmannschaft und des HFC Bernd Bransch und von Dariusz Wosz zu sehen. Wosz ist der einzige Spieler des Halleschen FC, der später zu Länderspieleinsätzen im Trikot des Deutschen Fußball-Bundes kam.
Als sich auch der deutsche Fußball wiedervereinigte, war Wosz der ganz große Hoffnungsträger in Halle. Mit ihm erreichte der HFC in der letzten Saison der DDR-Oberliga 1991 Platz vier und qualifizierte sich für die 2. Bundesliga. Nachdem der dribbelstarke Mittelfeldspieler im Winter an den VfL Bochum verkauft wurde, gelangen nur noch zwei Siege. Der Plan, die Mannschaft mit dem üppigen Transfererlös weiter aufzubauen, ging schief. Der HFC stieg ab. Um sich vom Abschied aus dem Profifußball 1992 zu erholen, brauchte der Hallesche FC eine lange Zeit - sportlich und wirtschaftlich. Mehrmals war der Klub von der Saale vom Konkurs bedroht und spielte mehrere Jahre in der fünften Liga. Zwischenzeitlich war gar der VfL Halle die Nummer eins in der Stadt.
Hinter der alten Backsteinmauer lauern die Gefahren eines Abstiegs auch heute noch. Mit dem 3:0 vergangene Woche beim SV Wehen Wiesbaden kletterte der Hallesche FC im ersten Spiel nach der Winterpause von den Abstiegsrängen. »Wir versinken nicht ins Bodenlose«, versichert HFC-Präsident Michael Schädlich, »aber ein Abstieg würde einen Riss durch den gesamten Verein ziehen.« Es wäre vor allem ein wirtschaftlich tiefer Einschnitt. Der Aufstieg 2012 in die 3. Liga brachte einen enormen Imagegewinn, der jährliche Etat stieg auf derzeit 5,4 Millionen Euro. »Die 1. Mannschaft finanziert den ganzen Klub«, sagt Schädlich. Unter einem Abstieg würden auch alle anderen Mannschaften und Abteilungen leiden.
»Die positive Entwicklung der vergangenen Jahre wäre mit einem Schlag dahin«, fürchtet Schädlich den Gang in die Viertklassigkeit. Dort ist der finanzielle Überlebenskampf mit einem neuen Stadion, einem Nachwuchsleistungszentrum auf der einen Seite und wesentlich geringeren Einnahmen durch Sponsoren und Fernsehübertragungsrechte auf der anderen kaum zu gewinnen. In der Regionalligasaison 2011/12 verzeichnete der HFC einen Verlust von mehr als 250 000 Euro, im ersten Jahr in der 3. Liga konnte ein Gewinn von 10 000 Euro erwirtschaftet werden. Auch wenn Schädlich mit der Organisation und Struktur durch den Deutschen Fußball-Bund nicht ganz zufrieden ist, stellt er dennoch klar: »Die 3. Liga ist ein Segen für uns. Wir sind dankbar, dass wir dort spielen können.«
Wenn Klaus Urbanczyk beim Training oder den Spielen zuschaut, denkt er manchmal: »So kann man doch den Ball nicht annehmen. Das dauert doch alles viel zu lange.« Die Realität holt ihn aber auch ganz schnell wieder ein. »Das ist eben der Unterschied. In der DDR haben wir meist in der ersten Liga gespielt, jetzt spielen wir eben in der dritten.« Beim Blick auf seine sportliche Vita sind derlei schwelgerische Gedanken verständlich. Die beste Platzierung des HFC in insgesamt 21 Oberligajahren war Rang drei - in der Saison 1970/71, natürlich mit Urbanczyk. 1964 war er Kapitän der DDR-Olympiaauswahl, die durch ein 3:1 gegen Ägypten Dritter wurde. Im selben Jahr wurde er von der UEFA in die Europaauswahl berufen und zum DDR-Sportler des Jahres gewählt. Dies gelang vor und nach ihm keinem zweiten Fußballer. Nach einem Länderspiel 1963 gegen England in Leipzig adelte ihn der legendäre Bobby Charlton: »Urbanczyk ist einer der besten Außenverteidiger Europas.«
Seinen zweifelsfrei bittersten Moment mit dem Halleschen FC erlebte Urbanczyk im Europapokal. »Ich habe mit Ach und Krach überlebt«, blickt er auf den 28. September 1971 zurück. Nach einem 0:0 im Hinspiel der 1. Runde des UEFA-Pokals war der HFC durchaus chancenreich nach Eindhoven gereist. Das Rückspiel gegen den PSV aber fand nicht statt. Eine Gasexplosion im Erdgeschoss des Hotels »Silbernes Seepferd« löste in der Nacht vor dem Spiel einen Großbrand aus. Der junge HFC-Spieler Wolfgang Hoffmann kam ums Leben. Urbanczyk verletzte sich schwer beim Versuch, andere Hotelgäste zu retten.
1991 erreichte der Hallesche FC noch einmal den UEFA-Pokal, dort war Torpedo Moskau in der ersten Runde ein zu starker Gegner. »Die erfolgreiche Geschichte des HFC ist immer noch zu spüren. Und auch die Hoffnung und der Antrieb, dieser wieder ein Stück näher zu kommen«, sagt Trainer Sven Köhler. Dass Halle jetzt zumindest wieder im Profifußball mitspielt, ist auch sein Verdienst. Vor der Saison 2007/08 ging es an der Saale mal wieder ums sportliche Überleben: In der NOFV-Oberliga musste unbedingt Platz eins bis drei erreicht werden, um sich für die neu eingeführte viertklassige Regionalliga zu qualifizieren. Diese Aufgabe sollte Köhler lösen, gleich auf seiner ersten Trainerstation im Männerbereich. Es gelang. Vier Jahre später der nächste Aufstieg. Und nun erneut das Ziel Klassenerhalt: »Die dritte Liga ist existenziell wichtig für den Verein«, weiß auch Köhler.
Der Trainer verweist auf einen weiteren positiven Aspekt der erfolgreichen Vergangenheit: »Ohne diese Tradition hätten wir das neue Stadion nicht.« Und ein modernes Stadion sei nun mal auch eine Grundvoraussetzung für Erfolg im Fußball. Der Stadionbau kostete insgesamt 17 Millionen Euro, elf davon kamen von der Stadt, die gleichzeitig auch Eigentümer ist. Die restlichen sechs Millionen trug das Land Sachsen-Anhalt aus verschiedenen Fördertöpfen bei. Warum? »Weil heutzutage ohne Fußball nichts mehr geht, und der HFC in der 3. Liga für Halle und die Region ein Imagegewinn ist«, erklärt Schädlich.
»Zufrieden kann man nie sein«, sagt Klaus Urbanczyk. Aber stolz ist er schon auf »die kontinuierlich gute Arbeit im Verein«. Trainer Köhler, Präsident Schädlich und Manager Ralph Kühne sind seit sechseinhalb Jahren ein funktionierendes Führungsgespann. Sportlich ging es aufwärts, die Schulden wurden komplett abgetragen. Ziel müsse es nun sein, sich in der 3. Liga dauerhaft zu etablieren. Damit liegt Urbanczyk ganz auf einer Linie mit der Vereinsführung. Aber einer wie er träumt eben manchmal auch von mehr. »Zweite Liga? Ob ich das noch erleben darf?«
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