Putins innenpolitische Gegner verabschieden sich
Programmatische Defizite und Machtgerangel schwächen Oppositionsparteien
Mit einem Jungleoparden auf den Knien lauschte Wladimir Putin in Sotschi kurz vor der Eröffnung der Olympischen Winterspiele andachtsvoll Ausführungen zur Reproduktionsfähigkeit der Wildkatze. Die kann sich nach Worten des Direktors des Reservats 270 mal die Woche paaren. Journalisten leckten sich in Erwartung eines der nassforschen Sprüche des Präsidenten die Lippen. Sie wurden enttäuscht.
Russlands Präsident hat vierzehn Jahre nach Machtantritt den Leningrader Hinterhof, auf dem er groß wurde, hinter sich gelassen und bedient ein anderes Rollenfach: den aufgeklärten Monarchen. Der verhandelt mit Amtskollegen auf Augenhöhe und wehrt Kritik an Russlands souveräner Demokratie souverän ab. Zu Recht. Innenpolitische Gegner sind auf dem besten Weg in das Rote Buch gefährdeter Arten.
Schnee vom vorvergangenen Jahr im Wortsinn ist die Protestbewegung, die sich nach den umstrittenen Parlamentswahlen Ende 2011 über virtuelle soziale Netzwerke spontan bildete. Zu einer ernst zu nehmenden außerparlamentarischen Opposition reichte das Potenzial nie. Die maximal 120 000 Menschen, die in Moskau und anderen Großstädten auf die Straße gingen und die Liberalisierung des politischen Lebens forderten, machten noch nicht einmal 0,01 Prozent der russischen Gesamtbevölkerung aus. Die Führer erkannten viel zu spät, dass sie neben politischen auch soziale Forderungen artikulieren müssten, um mehrheitsfähig zu werden.
An programmatischen Defiziten und internem Machtgerangel zwischen Liberalen, Linken und Nationalisten scheiterte im Herbst 2013 sogar die Neuwahl des Koordinationsrates. Der hatte sich ein Jahr zuvor unter unsäglichen Mühen konstituiert. Inzwischen hat die Zellteilung innerhalb der Liberalen ein Tempo wie in einer Petrischale mit körperwarmer Nährlösung erreicht.
Meinungsforscher hatten schon auf dem Höhepunkt der Protestbewegung einen für die Liberalen ernüchternden Befund gebracht: Sie würden selbst bei hundertprozentig freien und fairen Wahlen maximal zehn Prozent einfahren. Auch weil die Masse den Vorturnern nicht über den Weg traut. Ob Expremier Michail Kassjanow, der vormalige Vizepremier Boris Nemzow, der einst gar als Nachfolger Boris Jelzins gehandelt wurde, oder Wladimir Ryshkow, der in den 90er Jahren zur Führung der konservativen Regierungspartei von Premier Viktor Tschernomyrdin gehörte und zeitweilig gute Chancen hatte, ihn zu beerben - sie alle stießen erst zur Opposition, als sie in Ungnade gefallen waren.
Eine liberale Partei, warnten jene Politologen, die mit den Protestlern sympathisierten, sei angesichts dieser Gemengelage derzeit für Russland genug. Vergeblich. Der Politnachwuchs trat nicht der RPR-Parnas-Partei bei, die aus der Fusion der 2010 von Nemzow und Kassjanow gegründeten Partei der Volksfreiheit mit Ryshkows Republikanischer Partei hervorgegangen war. Geschnappt wurde nach der Lockspeise, die Kreml und Regierung Regimegegnern mit der Liberalisierung des Zulassungsverfahrens für Parteien hinwarfen. Allen voran war der Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalny.
Auch der kremlkritische Oligarch Michail Prochorow gründete auf den Resten der neoliberalen Union der Rechten Kräfte eine eigene Partei: die Bürgerliche Plattform. Sie will bei den Wahlen zum Stadtparlament in Moskau im September die Stimmen kritischer Wähler bündeln und hat mangels Alternative gute Chancen.
Denn RPR-Parnas, die bisher stärkste liberale Partei, steht kurz vor dem Aus. Am Wochenende warfen der Kovorsitzende Ryshkow und mit ihm 15 Getreue - darunter der Wirtschaftsguru Sergej Alexaschenko - das Handtuch. Ohne dass die Präsidialverwaltung dazu auch nur einen Finger krümmen musste. Nemzow und Kassjanow, so begründete Ryshkow den Austritt, würden die Kontrolle der Partei an sich reißen und Andersdenkende verfolgen.
Auf nahezu identische Weise gaben sich zuvor schon andere Bündnisse russischer Liberaler die Kugel. Darunter die 2008 mit gewaltigen Ambitionen gegründete Solidarnost des ehemaligen Schachweltmeisters Garri Kasparow. Im letzten April trat er mit Getöse aus und stänkert seither aus dem Ausland gegen Putin.
Kasparow ist ähnlich wirkungslos wie der im Dezember begnadigte ehemalige Jukos-Chef Michail Chodorkowski. Ihn hatte die Zivilgesellschaft bereits zum Herausforderer Putins bei den nächsten Präsidentenwahlen 2018 hochgejubelt. Inzwischen mögen unversöhnliche Regimekritiker daran nicht mehr erinnert werden. Der einst reichste Mann Russlands will nach eigenen Worten mit Politik nichts mehr zu tun haben.
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