Nur Buben in der Badewanne?
Der Fall Edathy führt zu neuen Debatten über die Definition von Kinderpornografie
Im Umgang der Gesellschaft mit ihren Kindern wirkt ein Zusammenhang zwischen Angebot und Wertschätzung: Je weniger es gibt, desto wichtiger werden sie genommen. Dann zumal, wenn es um Sexualität geht - ganz gleich, ob um tatsächliche sexuelle Handlungen oder um sexualisierte Darstellungen. Während sich die westlichen Gesellschaften allgemein in Richtung der Libertinage entwickeln und etliche einst verbotene sowie als »krank« geltende sexuelle Praktiken unter Erwachsenen längst legal und legitim sind, laufen die Dinge in Gegenrichtung, wenn es um Kinder geht.
Das bekannteste Beispiel dafür ist der berühmt-berüchtigte Film »Spielen wir Liebe«, der sich um ein obsessives Dreiecksverhältnis zwischen 12- bis 14-Jährigen dreht. 1977 durfte der Streifen ab 18 ungeschnitten ins Kino. Seit Mitte der 1980er Jahre wurde er als »jugendgefährdend« indiziert; noch 2004 hielt die Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien eine unter dem Titel »Maladolescenza« wiederveröffentlichte Originalfassung aber ausdrücklich nicht für Kinderpornografie. Doch 2006 ließ das Amtsgericht Karlsruhe eben diese Fassung nach dem Kinderpornoparagrafen beschlagnahmen. Seither kann in Deutschland bereits der Besitz als Straftat gelten - während dies etwa in Österreich und auch den USA für Volljährige keine Straftat darstellt.
Wie verbreitet pädophile Neigungen sind, ist nicht leicht zu sagen. Nach Angaben des Beratungsnetzwerks »Kein Täter werden« gaben in internationalen Studien zwischen drei und neun Prozent an, schon einmal auf Kinder gerichtete Sexfantasien gehabt zu haben - was nicht heißt, dass diese Fantasien dauerhaft seien oder gar umgesetzt würden.
Nach einer auf Deutschland beschränkten Untersuchung sollen die Diagnosekriterien der Pädophilie aber auf immerhin jeden hundertsten Mann zutreffen.
Schon die Produktion entsprechenden Materials ist in der Regel mit Missbrauch verbunden.
Wie sich der Konsum solchen Materials auswirkt, ist jedoch umstritten. Eine jüngere Studie aus Zürich und Konstanz weist darauf hin, dass der Konsum kinderpornografischen Materials noch längst nicht auf das Begehen direkter Missbrauchstaten schließen lässt. Nach dieser Untersuchung fiel weniger als ein Prozent der wegen Kinderpornografie Verurteilten in einem Sechs-Jahres-Zeitraum nach dem Urteil tatsächlich handgreiflich auf. nd
Das Beispiel zeigt zumindest, wie unscharf und immer wieder auslegungsbedürftig die Kriterien dafür sind, wie Kinder dargestellt werden dürfen. Wann ist zum Beispiel Nacktheit »sexuell« - und wann so unschuldig wie auf den Schnappschüssen von den eingeschäumten Buben in der Badewanne, die es in vielen Familien gibt?
Um diese Unterscheidung geht es auch nun wieder in der Affäre um den Ex-SPD-Politiker Sebastian Edathy. Dieser soll bildliche Darstellungen von Kindern erworben haben, auf denen die Kinder zwar »Posen« zeigen, die entsprechend veranlagte Erwachsene womöglich erregen - die als solche aber unter die Badewannen-Kategorie subsumiert werden, da keine sexualisierten Handlungen zu sehen sind und die Geschlechtsteile nicht im Mittelpunkt stehen. Derartige Bilder auch von fremden Kindern sind, so sehr man über die mutmaßlichen Motive der Käufer erschrecken mag, strafrechtlich bisher nicht relevant.
Darin scheint das politische Berlin nun überwiegend ein Problem zu sehen. Für Johannes-Wilhelm Rörig, den Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, zeigt der Fall eine »Gesetzeslücke«, die nun »schnell zu schließen« sei. Dabei scheint sich die Debatte in die Richtung zu bewegen, generell den Handel mit Darstellungen unbekleideter Kinder zu sanktionieren. CDU-Mann Wolfgang Bosbach fordert einen Straftatbestand, der »Minderjährige« davor schützen soll, durch Nacktfotos ausgebeutet und gedemütigt zu werden. Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, forderte in einem Kölner Blatt, den Kauf und Verkauf von Fotos nackter Kinder generell unter Strafe zu stellen.
Auch die Grünen, die sich am Dienstagabend in der Fraktion eingehender mit dem Problem befassen wollten, sehen Handlungsbedarf. Man werde »prüfen, wo es Gesetzeslücken gibt und wie man diese schließen kann«, wie Parteisprecher Jens Althoff gegenüber »nd« sagt. Die frühere Grünen-Frontfrau Renate Künast gab allerdings im »Deutschlandradio Kultur« zu bedenken, dass die Angelegenheit nicht unkompliziert ist: FKK-Familienfotos müssten natürlich straffrei bleiben, sie wisse aber »noch nicht genau, wie wir das sicherstellen«. In einem neuen Gesetz könnten vielleicht »sexuell aufreizende Darstellungen unbedeckter Genitalien« unter Strafe gestellt werden, so Künast in dem Sender - was freilich wiederum Graubereiche lassen würde.
Die LINKE-Netzpolitikerin Halina Wawzyniak ist dagegen eher skeptisch, was rechtliche Verschärfungen angeht. Eine solche Debatte sei »ein Schnellschuss, der von Hilflosigkeit zeugt«, erklärte sie. Nötig sei eher ein Ausbau der Präventionsarbeit, in die auch Eltern stärker einbezogen werden müssten. Eine Verschärfungsdebatte helfe »den Opfern sexualisierter Gewalt nicht«.
Die Verbreitung, der Erwerb und der Besitz kinderpornografischen Materials sind in Deutschland nach dem Paragrafen 184b des Strafgesetzbuches verboten und können mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Rechtliche Handhaben gegen gehandelte Filme oder Bilder, die bislang nicht eindeutig als pornografisch gelten, bietet aber auch das Zivilrecht - in Gestalt etwa des Instituts des Rechtes am eigenen Bild.
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