Unstillbarer Datenhunger
Statistiker mögen Fakten und Volkszählungen - und planen bereits die nächste
Begleitet von massiver Kritik fand vor drei Jahren die Volkszählung »Zensus 2011« statt. Kritiker formierten die Aktivistengruppe Arbeitskreis Zensus. Kritikpunkte gab es viele: die mangelhafte Informationspolitik der Bundesregierung, Fragen zur Kirchenzugehörigkeit sowie Ausstattung und Größe der Wohnung oder Verfahrensmängel bei der Befragung, bis hin zu mangelhafter Anonymisierung und langfristiger Speicherung der Daten. »Aus technischer Sicht betrachtet entsteht ein zentral verfügbares Personenprofil aller in Deutschland ansässigen Personen«, kritisiert der AK Zensus auf seiner Webseite. Die Daten in den Behördenregistern seien nicht mehr aktuell und für Planungszwecke bräuchte man genaue Daten, argumentierten die Befürworter, allen voran die damalige Bundesregierung. Die Gegner des Zensus hielten dem die hohen Kosten entgegen, die sich auf 700 Millionen Euro beliefen.
Statistiker lieben Daten und können davon gar nicht genug bekommen. Mit dem inzwischen vorliegenden Material der Volkszählung von 2011 haben sie aber noch jede Menge Arbeit vor sich. Ergänzend zu den bereits veröffentlichten Ergebnissen ist noch eine weitere Veröffentlichung geplant. Deren Ergebnisse würden weitere Registerdaten miteinbeziehen, etwa zur Erwerbstätigkeit, sowie Angaben zur Familie und Haushalten, berichtete Jörg Höhne vom Berlin-Brandenburger Amt für Statistik während einer Tagung des Rates für Sozial- und Wirtschaftsdaten.
Aber Statistiken sind kein Selbstzweck, es geht auch ums Geld. Mit Bekanntwerden der ersten Ergebnisse wurde klar, dass einige Gemeinden und Städte weniger Einwohner haben, als sie annahmen. Ihnen stehen weniger finanzielle Zuschüsse zu. »Statistik dient auch als Mittel für das Ziel Finanzausgleich«, kommentierte der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar.
Kritiker beruhigte er: Bisher seien keine Fälle bekannt geworden, wo Volkszählungsdaten missbraucht worden seien. Schaar kritisierte jedoch die Anonymisierung der Daten, die eine Identifizierung nicht ausreichend verhindere. Es sei nicht ausgeschlossen, durch eine Kombination der Merkmalsausprägungen einzelne Personen ausfindig zu machen. Das setze eventuell entsprechendes Zusatzwissen voraus, aber das sei heute aufgrund unterschiedlicher Datenquellen sehr viel leichter zu erlangen.
Für 2021 ist die nächste Zählung geplant, die Vorbereitungen laufen bereits. Das Projekt sieht sogar der Wirtschaftswissenschaftler und Leiter der bisherigen Zensuskommission Gert Wagner kritisch. Als Nutzungszweck für die gesammelten Daten würden immer Planungszwecke genannt, berichtete Wagner. »Aber welche Rolle kann ein Zensusergebnis für die Stadtplanung spielen, das mindestens drei Jahre alt ist?« In Städten mit dynamischen Stadtteilen seien diese Zahlen zu alt. Ferner sei für Planungen ohnehin noch eine Prognose notwendig. Die werde aber nicht zwangsläufig besser, nur weil die Ausgangszahlen größer sind. Auch die Frage nach Planungsänderungen aufgrund von Zensusergebnissen verliefe ergebnislos. »Prognosen hängen eben nicht nur vom Ausgangsmaterial ab«, meinte Wagner. »Der kommende Zensus sollte sich auf die Feststellung der Bevölkerungszahlen konzentrieren«, empfahl er gegenüber »nd«. Allein durch bessere Amtsregister könnten schon aussagekräftige Statistiken erreicht werden. Allerdings müsse der Staat dazu »etwas hoheitlicher auftreten« und wieder eine Abmeldepflicht einführen.
Am Samstag treffen sich an vielen Orten Deutschlands Open-Data-Entwickler und Programmierer, um auf der Grundlage öffentlicher Daten neue Softwareprogramme zu erstellen. Vielleicht liefern 2021 Google, Apple und Facebook den Statistikern die genauesten Zahlen.
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