Bei ADELE ist die Luft raus
Speicher bleiben vorerst das Sorgenkind der Energiewende
An einem nasskalten Abend im November 2010 wurde im Ratssaal von Staßfurt (Sachsen-Anhalt) eine Retterin der Energiewende vorgestellt: ADELE. Zwar ging es bei dem Projekt, das Manager des Energiekonzerns RWE anhand bunter Bildchen und Diagramme erklärten, im Kern um heiße Luft. In diesem Fall aber sollte daraus großer Nutzen entstehen. ADELE sollte helfen, Strom aus Windrädern zu speichern. Salopp gesagt bestand die Idee darin, mit dem in den Rotoren gewonnenen Strom Druckluft zu erzeugen, die in ehemalige Salzbergwerke gepresst würde. Bei Bedarf würden die unterirdischen Pressluftflaschen geöffnet und erneut Strom produziert - wenn der Energiehunger im Land am größten ist.
Zwei Jahre später ist bei ADELE die Luft raus: Die Errichtung einer Pilotanlage in Staßfurt, die eigentlich schon seit 2013 im Bau sein sollte, hat RWE vorerst abgesagt. Dabei schien es an jenem Abend im historischen Staßfurter Rathaus, als würde der Stein der Weisen präsentiert. Schließlich entscheidet die Frage, ob und wie sich Energie speichern lässt, über das Wohl und Wehe der deutschen Energiewende. Die Bundesrepublik nimmt bis 2022 ihre Atomkraftwerke vom Netz und will auch die klimaschädlichen Kohlekraftwerke in den Ruhestand schicken. In die Bresche sollen Windräder und Sonnenkollektoren springen.
Im Zuge der Energiewende will Deutschland seinen Bedarf zunehmend aus erneuerbaren Quellen decken: Ihr Anteil an der Stromerzeugung soll im Jahr 2050 bei mindestens 80 Prozent liegen. 2013 betrug er 23,4 Prozent; aus Braunkohle stammten 26 Prozent, aus Steinkohle 20 Prozent, Atomkraftwerke lieferten gut 15 Prozent des Stroms.
Für einen optimalen Mix bei der Erzeugung halten es Experten für ratsam, künftig drei Viertel des Stroms aus Windkraft und ein Viertel aus Solaranlagen zu gewinnen. In beiden Bereichen wird massiv ausgebaut - allein in Sachsen-Anhalt stehen heute 2500 Windräder, die im Jahr 7,2 Terawattstunden (TWh) Strom erzeugen. Aus Sonne werden in dem Bundesland jährlich 1,5 TWh gewonnen. Insgesamt werden in der Bundesrepublik aber 580 TWh Strom im Jahr verbraucht, wobei der Bedarf je nach Tages- und Jahreszeit zwischen 35 und 75 Gigawatt schwankt.
Windräder und Solaranlagen können den Bedarf an manchen Tagen schon allein decken; an anderen gibt es freilich fast keine Erträge. Wegen der stark schwankenden Erzeugung aus erneuerbaren Quellen werden daher künftig in großem Umfang Reserven benötigt - entweder Gaskraftwerke, die bei Bedarf angefahren werden können, oder Speicher. Um die Sicherheit der Versorgung zu gewährleisten, müssten nach Angaben von Eberhard Umbach vom Karlsruhe Institut für Technologie Anlagen mit einer Leistung von 75 Gigawatt vorgehalten werden. Auf Speicher allein könne man sich dabei nicht verlassen; diese seien »teuer und bleiben die meiste Zeit ungenutzt«. Umbach hält eine Speicherkapazität von fünf bis zehn TWh für realistisch und finanzierbar. Zum Vergleich: Die in Deutschland existierenden Pumpspeicher bringen es zusammen derzeit auf lediglich 50 Gigawattstunden - ein Hundertstel des von Umbach mindestens prognostizierten Bedarfs. hla
Es gibt jedoch ein Problem: Während traditionelle Kraftwerke hochgefahren werden, wenn der Strom gerade benötigt wird, richten sich Wind und Sonne nicht nach den Bedürfnissen von Energieverbrauchern. Teilweise werden riesige Mengen Strom gerade dann erzeugt, wenn der Bedarf am kleinsten ist. An der Frage, ob Strom quasi auch auf Halde produziert werden kann, hängt daher der Erfolg der gesamten Energiewende und an der wiederum die Zukunft des Landes. Von einem »gewaltigen Experiment« spricht Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt: »Das muss gelingen, oder wir gehen in die Knie dabei.«
Um Ideen sind Ingenieure und Forscher nicht verlegen - im Gegenteil. Zwar erweisen sich die gängigen Technologien nicht zuletzt angesichts der schieren Größe der Aufgabe als ungeeignet. Bisher wurde Energie etwa in Batterien gespeichert. Nach Schätzung von Eberhard Umbach vom Karlsruhe Institut für Technologie müssten künftige Speicher in Deutschland aber genügend Kapazität haben, um fünf Terawattstunden Strom zu lagern. Wollte man dazu auf herkömmliche Lithium-Akkus zurückgreifen, bräuchte man 50 Millionen Tonnen davon. Kosten: zwei Billionen Euro. »Völlig utopisch«, sagt Umbach.
Doch Alternativen sind absehbar - und zwar für alle denkbaren Anwendungsfelder. Davon gibt es etliche. Benötigt werden nicht nur Speicher, die etwa mittags erzeugten Sonnenstrom bis zum Abend zurückhalten. Das Spektrum reicht darüber hinaus von Technologien, die für Sekunden oder Minuten zur Verfügung stehen, um das Netz stabilisieren oder kurzzeitige Erzeugungsspitzen glätten zu können, bis hin zu Langzeitspeichern, die Strom aus stürmischen Wintern in windarme Sommer retten. »Wenn man den wegschmeißen müsste«, sagt Umbach, »wäre das ja viel zu schade.«
Weggeworfen werden müsste nichts, wenn die Träume jener Forscher reiften, die sich kürzlich im Festsaal der »Leopoldina« in Halle trafen. Die Nationale Akademie der Wissenschaften hatte zu einer Konferenz über Energiespeicher geladen, auf der vielfältigste Ideen und Ansätze vorgestellt wurden. Gearbeitet wird an Schwungrädern und Kondensatoren, die Energie für kurze Zeit speichern, ebenso wie an neuartigen Batterien. Große Hoffnungen ruhen auf einer Technologie namens »po- wer to gas« (P2G), bei der Wind- oder Sonnenstrom genutzt wird, um per Elektrolyse Wasser zu spalten. Der entstehende Wasserstoff könnte ins Erdgas gemischt und im Gasnetz oder in unterirdischen Kavernen gelagert werden. In einer weiteren chemischen Reaktion könnte er mit Kohlendioxid aus Biogasanlagen zu Methan umgewandelt werden, mit dem sich Gasturbinen befeuern ließen. Das Methan diente dann auch als Ausgangsstoff für die chemische Indus- trie, etwa bei der Herstellung synthetischer Fasern. Am Ende könnte man »Strom quasi sogar in Anzugstoff speichern«, scherzt Robert Schlögl vom Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion, der die Konferenz in Halle organisierte.
Freilich: Vieles ist bisher Zukunftsmusik. Zwar werden die Möglichkeiten der Erzeugung von Wasserstoff aus Windstrom jetzt auch in einem 90 Millionen Euro schweren Pilotprojekt namens HYPOS (Hydrogen Power Storage and Solutions East Germany) erforscht, an dem sich viele Unternehmen auch aus Sachsen-Anhalt beteiligen. Doch an Detailfragen beißen sich die Wissenschaftler die Zähne aus. Die Vorgänge sind, wenn auch seit 70 Jahren bekannt, noch immer schwierig zu beherrschen, gesteht Schlögl. Zudem wird bei den energieintensiven Prozessen viel Sonnen- oder Windstrom verbraucht: »Dieser Weg wäre wünschenswert«, sagt Schlögl, »aber effizient ist er nicht.«
Um die Technologie zur Marktreife zu bringen, ist also noch viel Grundlagenforschung nötig. Vor 2050, sagen Experten, werde P2G nicht zur Verfügung stehen. Deutlich früher hätten Druckluftspeicher wie ADELE zum Einsatz kommen können. Zwar sei auch dort »das Prinzip einfach, die Anwendung aber ganz und gar nicht«, sagt RWE-Projektleiter Peter Moser. Es ist schließlich kein Kinderspiel, Luft auf 65 Bar, den 30-fachen Innendruck eines Autoreifens, zu komprimieren und die dabei entstehende Hitze in einer Art Großkachelofen zu speichern. Sie wird gebraucht, um die Druckluft zu erhitzen, wenn sie aus den Kavernen im Berg wieder abgelassen wird. Sonst würde sie sich beim Druckabfall so stark abkühlen, dass die Turbinen vereisen würden. Für Kopfzerbrechen sorgten viele Details, vom geeigneten Material für die Speicher bis zu innen isolierten Rohrleitungen zur Wärmeableitung.
Doch es sind nicht Probleme mit der Technik, die dafür sorgen, dass ADELE vorerst begraben werden muss. Die Ingenieure waren optimistisch; die Anlage versprach einen Wirkungsgrad von passablen 68 Prozent. Das Genick brach ADELE ein krasses Missverhältnis zwischen Kosten und Erträgen: Je Kilowatt müssten 1300 Euro investiert werden, sagt Moser; die Pilotanlage sollte 260 Megawatt speichern - macht 338 Millionen Euro. Die nimmt ein Unternehmen nur in die Hand, wenn eine Chance besteht, den Betrag wieder einzuspielen. Das sei derzeit nicht möglich, sagt Moser: »Wir können mit der Technik kein Geld verdienen.«
Es ist ein Problem, vor dem nicht nur RWE steht und das nicht nur Druckluftspeicher betrifft. Anfang 2013 verkündete der Energiekonzern Vattenfall die Absicht, das Pumpspeicherwerk Niederwartha am Rand von Dresden außer Betrieb nehmen zu wollen - was grotesk wirkt. Pumpspeicher gelten als derzeit technisch ausgereifteste Technologie, um Strom zu lagern. Das Prinzip ist simpel: Ist Energie im Übermaß vorhanden, wird Wasser in ein Staubecken auf einem Berg gepumpt. Bei Bedarf rauscht es zu Tal und treibt Turbinen an. In Niederwartha funktioniert das seit 1927; die Anlage gilt als älteste noch in Betrieb befindliche in der Welt.
Dass sie sich nicht mehr rechnet, liegt weniger an veralteter Technik - auch wenn diese zuletzt 1960 überholt wurde. Schuld sind eher Entwicklungen auf dem deutschen Strommarkt, die den potenziellen Betreibern der Speicher Sorgen bereiten. »Ein Speicher verdient sein Geld ja nicht, indem er herumsteht«, sagt Friedrich Schulte von der RWE-Forschungsabteilung: »Er muss genutzt werden.«
Das war bis vor wenigen Jahren auch möglich, weil Strom zu manchen Zeiten im Überfluss vorhanden und daher sehr billig, zu anderen Zeiten aber knapp und teuer war. 2008 habe die Differenz noch 50 Euro je Megawattstunde betragen, sagt Moser. Seither jedoch gab es einen enormen Preisverfall - kurioserweise wegen des massiven Ausbaus der Solaranlagen. »Das pulverisiert die Rentabilität von Speichern wie ADELE«, sagt Moser. Dazu kommen weitere scheinbare Absurditäten: Pumpspeicher werden vom Gesetz behandelt wie Endverbraucher und müssen Abgaben etwa für die Netznutzung zahlen. Nur neue Anlagen sind für zehn Jahre befreit. Eine »Goldgrube« seien aber selbst sie derzeit nicht, sagt Schulte.
Experten sehen nun die Politik am Zug. Diese müsse bei der Überarbeitung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) Anreize schaffen, um Bau und Betrieb von Speichern attraktiv zu machen. Im Kern müssten Unternehmen dafür entlohnt werden, dass sie diese Infrastruktur vorhalten. Welche Modelle genau dafür geeignet sind und ob etwa eine verbreitet diskutierte »Kapazitätsabgabe« helfen würde - dazu äußerten sich die Experten in der »Leopoldina« nicht. Fakt sei aber, dass politische Entscheidungen für das Gelingen des geplanten Energieumstiegs viel heikler seien als ungelöste wissenschaftliche Fragen, sagt Schlögl: »An der Synthese von Methan wird die Energiewende nicht scheitern, aber falsche regulatorische Konzepte können sie zu Fall bringen.« Speicher seien unabdingbar: »Noch nicht jetzt«, mahnt der Chemiker, »aber wenn wir erst warten, bis wir sie brauchen, fallen wir auf die Nase.«
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