Prozesse reißen alte Wunden auf

Kroatische und serbische Völkermordklagen holen Balkankrieg der 90er Jahre in die Gegenwart zurück

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.
Am heutigen Montag beginnt vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag der von Kroatien angestrengte Völkermordprozess gegen Serbien.

Das Belgrader Treffen war kurz, herzlich - und hart. Die Vizepremiers Kroatiens und Serbiens erklärten vergangene Woche, sie zögen ihre gegenseitigen Völkermordklagen vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag nicht zurück. Nichts anderes hatte man von Kroatiens Außenministerin Vesna Pusic und Serbiens Vizepremier Aleksandar Vucic erwartet. Der Kroatienkrieg (1991-95) geht damit in die juristische Verlängerung: Vor dem IGH beginnt zunächst der von Kroatien schon vor 15 Jahren angestrengte Genozidprozess gegen Serbien.

Kroatien lastet Serbien die alleinige Kriegsschuld, über 13 500 Tote, die Verwüstung weiter Landstriche und die Vertreibung Hunderttausender aus ihrer Heimat an. Umgekehrt macht Belgrad Zagreb für rund 6500 Tote serbischer Herkunft und die dauerhafte Vertreibung von 200 000 Krajina-Serben verantwortlich. 90 Prozent der Kroaten seien überzeugt davon, dass Serbien im Krieg der Aggressor gewesen sei, während 90 Prozent der Serben glaubten, dass Kroatien die größte ethnische Säuberung seit dem Zweiten Weltkrieg begangenen habe, fasste Vucic die Ausgangslage aus seiner Sicht zusammen: »Und daran wird auch kein Prozess etwas ändern.«

Im Gegensatz zum Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) beschäftigt sich der IGH nicht mit den Straftaten einzelner Personen, sondern mit Rechtskonflikten zwischen Staaten. Noch nie wurde vor dem IGH ein Staat wegen Völkermords verurteilt. Und wegen des Scheiterns der bosnischen Genozidklage gegen Serbien 2007 gelten die Erfolgsaussichten der Zagreber Klage als ebenso zweifelhaft wie die der serbischen Gegenklage.

Wie in dem von Bosnien-Herzegowina gegen Serbien angestrengten Verfahren werde sich der IGH wegen seiner beschränkten Mittel auf die Ermittlungsergebnisse des ICTY stützen, erwartet der serbische Völkerrechtler Tibor Varadi. Doch im Gegensatz zu den Prozessen in Sachen Bosnienkrieg habe das Tribunal im Falle des Kroatienkrieges nie jemanden wegen Völkermords angeklagt: »Wahrscheinlich wird darum keine der beiden Seiten des Genozids für schuldig gesprochen.«

Weder an Kroaten noch an Serben sei Völkermord begangen worden, sagt auch der kroatische Anwalt Ante Nobilo. Von dem Prozess würden daher nur die kostspieligen internationalen Anwaltskanzleien profitieren: »Es wäre klüger, die Klagen zurückzuziehen.« Zagrebs Bedingungen dafür - die Rückgabe geraubter Kulturgüter und detaillierte Angaben über Kriegsvermisste - seien weder juristischer Art, noch hätten sie direkt mit der Klage zu tun. Eine außergerichtliche Einigung sei auch nach Verfahrensbeginn noch möglich. Allein rechtsextremen Gruppierungen sei am neuerlichen Aufrechnen der Kriegsopfer und der Folgen gelegen, glaubt Anwalt Nobilo.

Ein Rückzug der Klage wäre für Kroatiens angeschlagene Mitte-Links-Regierung angesichts ihres enormen Popularitätsverlusts derzeit jedoch »politischer Selbstmord«, meint der serbische Politologe Predrag Simic. Das Aufreißen alter Kriegswunden durch den Prozess hält er für unausweichlich: »Die Geister der Vergangenheit werden erneut aufleben.«

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