»Es könnte schlimm werden«
Textilarbeiter in Kambodscha fürchten Niederschlagung eines öffentlichen Forums
Zwei Monate nach den tödlichen Schüssen der Militärpolizei auf Streikende in Phnom Penh rüsten sich Kambodschas Textilarbeiter zur nächsten Runde im Kampf für die Erhöhung des Mindestlohns auf umgerechnet 115 Euro pro Monat. Die Regierung hatte im Januar den Mindestlohn auf rund 73 Euro festgesetzt. Für heute haben Gewerkschaften zu einem »Öffentlichen Forum« im Freiheitspark in Phnom Penh aufgerufen. Dass es auf den Internationalen Frauentag fällt, ist kein Zufall: Über 80 Prozent der mehr als eine halbe Million Beschäftigten der Textilbranche sind junge Frauen.
Das Forum wurde von den Behörden verboten. Die Gewerkschaften sind entschlossen, sich über das Verbot hinwegzusetzen, auch wenn die Staatsmacht mit Drohgebärden reagiert: So betonte Premierminister Hun Sen diese Woche auf einem Wirtschaftsforum, es gebe »keine Toleranz« für die »illegalen« Gewerkschaftsaktivitäten. Im Nationalstadion bereiteten sich in den vergangenen Tagen Polizeihundertschaften in voller Kampfmontur auf einen Einsatz gegen das Forum vor.
Auch die Arbeitgeber sind nicht zimperlich: Als in den vergangenen Wochen in einigen Fabriken Arbeiter Überstunden verweigerten, ließen die Fabrikbesitzer am Ende der regulären Arbeitszeit »zum Schutz der Arbeiter vor aufrührerischen Gewerkschaften« kurzerhand die Fabriktore verriegeln. »Das Forum wäre eine Chance für einen Dialog«, sagt Dave Welsh, Vertreter der Arbeiterrechteorganisation Solidarity Center in Phnom Penh. »Aber angesichts der Verhaftung von Streikenden und der Klagewelle gegen Gewerkschafter in den letzten Wochen ist die Situation unvorhersehbar.«
Die Textilproduktion ist neben der Landwirtschaft und dem Tourismus der wichtigste Wirtschaftsfaktor des bitterarmen Kambodschas. Zahlreiche internationale Textil- und Modeunternehmen lassen in dem kleinen Königreich ihre Markenware herstellen. Die Branche ist komplex. Internationale Modeunternehmen erteilen Aufträge an Firmen in Ländern wie Südkorea, Taiwan oder Malaysia. Diese wiederum reichen sie an von Investoren gebaute und dann an Betreiber verkaufte oder verpachtete Fabriken weiter.
Die asiatischen Investoren sind in frühkapitalistischer Manier einzig an schnellstmöglicher Profitmaximierung interessiert. »Die Modeunternehmen könnten eine Erhöhung der Stückkosten durch höhere Löhne verkraften, vermutlich sogar ohne die Preise zu erhöhen«, sagt der Mitarbeiter einer staatlichen Entwicklungshilfeorganisation, der aber offiziell keine Stellungnahme zu diesem Thema abgeben darf. »Die Investoren und Fabrikbesitzer sind jedoch nicht bereit, auf einen Teil ihres Profits zu verzichten.«
Anna Gedda sieht in höheren Löhnen gar Vorteile für die Unternehmen. In einem ausführlichen Interview mit der Phnom Penh Post führte die Managerin für soziale Nachhaltigkeit beim Modekonzern H&M aus: »Die Fluktuation der Arbeiter wird geringer; fähige Arbeiter bleiben. Qualität und Produktivität werden besser. Das führt nicht notwendigerweise zu höheren Kosten. Das würde allen nutzen.«
Eine Reihe internationaler Modeunternehmen drängt inzwischen alle Beteiligten dazu, mit den Gewerkschaften zu verhandeln, statt Gewalt einzusetzen. Welsh sieht das Engagement von H&M, Puma, Adidas und anderen zwar »positiv«, lässt aber auch keinen Zweifel daran, dass die Modefirmen ihren Einfluss noch stärker nutzen könnten.
In den Straßen Phnom Penhs sehen die Kambodschaner unterdessen dem heutigen Treffen mit Sorge entgegen. Channy, ein Tuk-Tuk-Fahrer, dessen Frau in einer Textilfabrik arbeitet, sagt: »Es könnte schlimm werden.«
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