Der Chefpolizist konnte aufatmen
Innenausschuss befasste sich erneut mit BKA-Weiterungen im »Fall Edathy«
Jörg Ziercke ist jetzt 67 Jahre alt. Seit 1967 ist er bei der Polizei, seit 22 Jahren leitet er das Bundeskriminalamt (BKA). Er hat in seinen Funktionen gewiss Fehler gemacht. Manche, die andere unter seiner Leitung begingen, reichten an die Skandalebene heran. Doch jenseits von politischen Einschätzungen ist festzuhalten: Bislang gab es keinen Grund, Ziercke aus seinem Amt zu entfernen.
Auch das, was jetzt beim »Fall Edathy« zur mangelhaften Arbeit des BKA aufgedeckt wurde, ist kein Grund, den obersten Bundeskriminalpolizisten in die Wüste zu schicken. Das ist die einhellige Ansicht des Bundestagsinnenausschusses. Vor dem musste Ziercke am Mittwoch erneut darlegen, warum die Ermittlungen gegen den damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy so schleppend liefen. Dem Mann, der sich als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses große Verdienste erworben hat, wird vorgeworfen, bei einem kanadischen Internethändler Fotos und Videos bestellt zu haben, die möglicherweise in die Nähe von Kinderpornografie reichen.
Die Kundenliste, auf der auch Edathy steht, wurde von kanadischen Ermittlern 2011 an das BKA geschickt. Ziercke aber hatte erst im Oktober 2013 den zuständigen Staatssekretär im Bundesinnenministerium Klaus-Dieter Fritsche (CSU) über den Verdacht gegen Edathy informiert. Weil der womöglich ein Regierungsamt hätte erhalten können, sprach Fritsche den damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) an, der informierte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Friedrich steht daher im Verdacht, Dienstgeheimnisse verraten zu haben. Das Bundesinnenministerium hatte am Dienstagabend mit einer Ermächtigung den Weg für die Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Friedrich frei gemacht.
Ziercke wurde mehrfach vor dem Bundestagausschuss zum »Fall Edathy« befragt. Dabei sagte er, dass der Name Edathy erst am 15. Oktober 2013 aufgefallen sei - und zwar Polizisten im niedersächsischen Nienburg, wo Edathy seinen Wahlkreis hat. Das BKA, so Ziercke, habe die von den kanadischen Kollegen 2011 erhaltene Kinderporno-Kundenliste nicht selbst ausgewertet.
Doch dann der mutmaßliche GAU. Es flog auf, dass das BKA bereits im Januar 2012 eine »Grobsichtung« vorgenommen hatte. Dabei sei einer Mitarbeiterin der Name eines hochrangigen BKA-Mitarbeiters aufgefallen. Man entfernte ihn aus dem Job, ermittelte gegen ihn. Das hatte Ziercke zwar ebenfalls den damaligen Innenstaatssekretär Fritsche, der heute im Bundeskanzleramt in gleicher Stellung arbeitet, erzählt. Doch als beide vor dem Innenausschuss zum »Fall Edathy« befragt wurden, verschwiegen sie den Vorfall. Allerlei Mutmaßungen machten die Runde.
Nach der Befragung am Mittwoch kann Ziercke aufatmen: »Alle Skandalisierungen und Verschwörungstheorien, wonach Informationen bewusst zurückgehalten worden seien, um gegen Herrn Edathy kompromittierendes Material zu sammeln, sind absurd«, sagte der BKA-Präsident und die Abgeordneten aller Fraktionen stimmten ihm zu. Man bestätigte auch, dass Vorwürfe, im BKA seien Massenverfahren verschleppt und dadurch andauernde Missbrauchsfälle von Kindern nicht unterbunden worden, haltlos sind. Das ändert freilich nichts daran, dass es aus Sicht der beiden Oppositionssprecher Jan Korte (LINKE) und Konstantin von Notz (Grüne) noch Fragen zur Arbeitsweise im BKA und an Merkels Staatssekretär Fritsche gibt. Bis die beantwortet sind, stünde der mehrfach angedrohte Untersuchungsausschuss »weiter im Raum«. Alles deutet darauf hin, dass er da bleibt.
In den Innenausschuss gebeten wurden gestern auch die niedersächsische Justizministerin, Antje Niewisch-Lennartz (Grüne), der Leiter der zuständigen Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, und der Chef der Generalstaatsanwaltschaft Celle, Frank Lüttig. Man wirft auch ihnen vor, durch allzu langsame Arbeit dafür gesorgt zu haben, dass Beweismaterial »verschwinden konnte«.
Das Bild dass die Drei vor dem Ausschuss geboten haben, sei »jämmerlich« gewesen, sagte ein Teilnehmer der geschlossenen Sitzung. Doch das ist, so meint auch der Chef des Gremiums, Wolfgang Bosbach (CDU), eine Sache, die in Niedersachsen aufgearbeitet werden müsse.
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