Einseitige Unabhängigkeitserklärung verboten
Norman Paech: Völkerrecht wurde geschaffen, um Krieg zwischen den Parteien zu verhindern
nd: Das Krim-Parlament hat die Autonome Republik für unabhängig erklärt und will nach einer Volksabstimmung den Beitritt zur Russischen Föderation beantragen. Ist das aus völkerrechtlicher Sicht zulässig?
Paech: Das ist nach übereinstimmender Meinung aller Völkerrechtler völkerrechtswidrig. Offensichtlich gibt es in der Verfassung der Ukraine auch keinen Passus, der eine einseitige Sezession eines Landesteils erlauben würde. Das findet man nur sehr selten. Ähnliche Sachverhalte haben wir beispielsweise in Spanien, wo es Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien und im Baskenland gibt. Es ist also generell untersagt, sich einseitig für unabhängig zu erklären und sich anschließend einem anderen Staat anzuschließen.
Eine einvernehmliche Scheidung dürfte allerdings selten sein. Unwahrscheinlich, dass ein Staat der Abspaltung eines seiner Teile zustimmt. Stattdessen ist es oft zu blutigen Bürgerkriegen gekommen, an deren Ende doch eine Sezession stand.
Ja, aber es gibt auch das Beispiel der Tschechoslowakei. Tschechien und die Slowakei haben sich friedlich getrennt. Auch Sudan hat aufgrund eines international unterstützten Abkommens zugestimmt, dass Südsudan nach einem Referendum selbstständig wird.
... nach einem jahrelangen bewaffneten Konflikt ...
Andererseits kennen wir das kanadische Quebec, eine Provinz, die seit Jahrzehnten unabhängig werden will, dies aber nur werden kann, wenn die gesamte kanadische Bevölkerung und die Regierung dahinterstehen. Das ist der Weg, auf dem man die Unabhängigkeit erreichen kann. Möglich ist es also durchaus.
Das Krim-Parlament beruft sich ausdrücklich auf den Fall Kosovo, wo es ebenfalls eine einseitige Sezessionsinitiative gegeben hat.
Die wurde damals auch von Russland als völkerrechtswidrig heftig kritisiert.
Dagegen hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag 2010 festgestellt, die einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos 2008 verstoße nicht gegen Völkerrecht.
Auch das ist seinerzeit stark kritisiert worden. Unter anderem mit dem Argument, dass dadurch ein Präzedenzfall geschaffen, eine Sezessionsspirale eröffnet wird. Und wie wir sehen, wird das jetzt auch von denen benutzt, die es damals kritisiert haben.
Nehmen wir einen anderen Fall: Die Kurden in der Türkei haben jahrzehntelang einen unabhängigen Staat gefordert, sind davon aber schon 1995 abgerückt, weil sie diese Forderung auch mit militärischer Gewalt nicht durchsetzen konnten.
Auch unter politischen Gesichtspunkten ist eine einseitige Sezession ausgesprochen problematisch. Wie würde die internationale Gemeinschaft wohl reagieren, wenn sich Katalonien oder das Baskenland gegen den Willen der Zentralregierung, aber auch des spanischen Volkes für unabhängig erklären würden? Würde die EU eine Sezession unterstützen?
Immerhin gibt es den Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Ist das generell zweitrangig gegenüber dem Prinzip der territorialen Unversehrtheit eines Staates?
Seit langer Zeit, und zwar mit dem Entkolonialisierungsprozess, hat es immer ein Problem der Konkurrenz zwischen der territorialen Unversehrtheit und dem Selbstbestimmungsrecht gegeben. Die UNO hat seinerzeit das Selbstbestimmungsrecht als Recht auf Unabhängigkeit anerkannt, weil die koloniale Situation eine schwere Verletzung der Menschenrechte und auf Dauer unerträglich ist.
Heute, nach der Dekolonisation, hat die territoriale Integrität Vorrang. Insbesondere natürlich auch das Gewaltverbot, Sezession darf nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. Das Selbstbestimmungsrecht für Minderheiten reduziert sich darauf, innerhalb der Grenzen des Staates Autonomie, Selbstverwaltung, föderale Strukturen zu bekommen. So wie die Kurden das jetzt wollen. Nur in äußersten Fällen, in denen die Grund- und Menschenrechte dauernd verletzt werden, lebt das Selbstbestimmungsrecht als Recht zur Sezession wieder auf. Das Wesentliche ist, dass diese Völker ihre Grund- und Menschenrechte garantiert sehen.
SPD-Senior Erhard Eppler hat in der »Süddeutschen Zeitung« das Pochen auf die Unversehrtheit der Ukraine für rechtlich einleuchtend erklärt, aber unter Verweis auf russische Ängste und schlimme Erfahrungen zu bedenken gegeben: »Die Weltgeschichte ist kein Amtsgericht.« Ihre Meinung dazu?
Einverstanden, wenn er meint, dass Weltgeschichte größer und nicht so miefig ist wie ein Amtsgericht. Doch für beide gilt, dass das Recht, ob Miet- oder Völkerrecht, dafür geschaffen wurde, Krieg zwischen den Parteien zu verhindern und den Frieden zu fördern. Im Übrigen bin ich mit Eppler der Meinung, dass der Westen in dieser Krise schlechte Karten hat und sich einmal genauer überlegen sollte, weswegen Putin so handelt.
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