Mit Feuerlöscher gegen Demonstranten
Sachsens Innenminister muss Einsatz von Chemikalien in Leipzig einräumen – und hält weitere Fälle für möglich
Die Warnungen sind deutlich. »Das Produkt«, heißt es im Sicherheitsdatenblatt für »FireAde 2000«, einen in Zypern hergestellten Löschmittelzusatz für die Brandbekämpfung, könne »bei Augen- und Hautreizungen ... Übelkeit und Durchfall hervorrufen«. Bei Augen- oder Hautkontakt soll ein Arzt konsultiert werden; zum Tragen von Schutzausrüstung wird geraten.
Selbst wenn letztere Hinweise nur für die konzentrierte Chemikalie gelten: »FireAde 2000« gilt zwar als gut geeignet für das Löschen von brennendem Benzin, aber nicht für einen Einsatz gegen Demonstranten. Dennoch geschah in Sachsen genau das. Bei einem Polizeieinsatz am 3. Februar in Leipzig sei, räumte Innenminister Markus Ulbig in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksabgeordneten Kerstin Köditz ein, zur »Abwehr andauernder körperlicher Angriffe« auf Einsatzkräfte ein Feuerlöscher benutzt worden. Das enthaltene Wasser, räumt der CDU-Politiker ein, habe auch »Beigaben« eines Frostschutzmittels enthalten – sowie von »FireAde 2000«.
Teilnehmer der Demonstration, die sich an dem Abend in Leipzigs Stadtteil Schönfeld dem NPD-gesteuerten Protest gegen eine Flüchtlingsunterkunft entgegen stellten, wird das Eingeständnis nicht überraschen. Etliche von ihnen hatten über Reizungen an Haut und Augen geklagt, nachdem die Polizei eine Flüssigkeit zum Einsatz gebracht hatte. Diese indes gab sich ahnungslos: Es habe sich um reines Wasser gehandelt, wurde beteuert. Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz sprach von einer »Übungskartusche« und warf den verletzten Demonstranten indirekt eine gestörte Wahrnehmung vor: Ihr Reizungsempfinden sei »Placebo« gewesen.
Als Placebo stellen sich jetzt freilich derlei Beruhigungspillen heraus. Die Polizei habe »sehenden Auges gelogen«, schimpft Juliane Nagel, LINKE-Stadträtin in Leipzig und Anmelderin der Proteste in Schönfeld. Köditz wirft den Beamten gar »bewusst herbeigeführte gefährliche Körperverletzung« vor und sieht einen »gewalttätigen schwarzen Block der Polizei« am Werk, der außerhalb der Legalität und ohne Kontrolle durch die Polizeiführung agiere. Beide halten eine Entschuldigung der Polizei für dringend geboten. Nagel fürchtet ansonsten, dass durch derlei Aktionen Menschen von der Teilnahme an Demonstrationen abgeschreckt würden.
Von einer Entschuldigung war indes weder in der schmallippigen, nur vier Zeilen langen Antwort von Ulbig auf die parlamentarische Anfrage die Rede noch bei Äußerungen des Ministers in einer Pressekonferenz. Dort musste der CDU-Politiker statt dessen einräumen, dass der Einsatz womöglich nicht einmal eine Ausnahme war. Es gebe »Anzeichen dafür, dass der Einsatz dieses Feuerlöschers kein Einzelfall ist«, sagte Ulbig. Sollte sich herausstellen, dass derlei Geräte außerhalb von Notsituationen zum Einsatz kämen, sei das »nicht akzeptabel und würde auch entsprechende Konsequenzen haben«, fügte er hinzu. Ob die Lage in Leipzig als Notfall gilt, soll jetzt Teil von Ermittlungen sein, sagte Polizeichef Rainer Kann, bei dem der Minister einen Bericht angefordert hat. Kann erklärte vorbeugend schon einmal, seiner Kenntnis nach hätten die in Leipzig eingesetzten Polizisten »selbstständig entschieden«, den Feuerlöscher einzusetzen.
Während der CDU-Innenpolitiker Christian Hartmann angetan ist von derlei »sachlicher und konsequenter Aufklärungsarbeit«, warnen Oppositionspolitiker vor dem »Herunterreden« der Vorfälle durch die Polizeiführung. Die grüne Innenexpertin Eva Jähnigen verlangt eine »lückenlose Darlegung«, ob und in welchen Fällen Feuerlöscher oder andere »unerlaubte Mittel« benutzt worden seien. Erhärte sich der Verdacht, dass damit bewusst die Spielräume von Polizeigesetz und Einsatzbefehlen überschritten würden, sei das ein »nicht hinnehmbarer Rechtsbruch«. Jähnigen hat neue Fragen an den Minister formuliert, ebenso wie Köditz. Diese vermutet, dass Löschmittel bewusst genutzt werden, weil über deren Verbrauch – anders als bei Reizstoffen – nicht Buch geführt werden müsse. Den Betroffenen des Einsatzes in Schönfeld rät Köditz, Strafantrag wegen Körperverletzung zu stellen.
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