#Euro und #Stacheldraht

Revolte der Körper, entleerte Zeichen? Eine Maidan-Delegation in der Rosa-Luxemburg-Stiftung

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 6 Min.

Wie genau die Kiewer Übergangsregierung, wie die Bewegung einzuschätzen sei, die zu ihr geführt hat und welche Rolle darin Rechtsextreme spielen, ist längst eine Frage der Weltpolitik. Russland begründet seine Aufnahme der Krim mit dem Argument, es handle sich in Kiew um eine Gemengelage aus Politpleitiers, unseriösen Amateuren und unberechenbaren Nazispinnern - und zugleich wird hierzulande ein rückhaltloses Bekenntnis zur »zivilgesellschaftlichen« Maidan-Bewegung zum ultimativen Kriterium von »Regierungsfähigkeit« erhoben, wie das jüngst so fadenscheidig mit dem »Maidan« begründete Ende der rot-rot-grünen Gesprächsrunden gezeigt hat.

Auf Fragen aber, die auf diesem Niveau verhandelt werden, gibt es keine Graustufen-Antworten. Die Matrix der Mächte, die sich über die Deutungen legt, verlangt nach Eindeutigkeit, produziert eine Gegenüberstellung von »A« versus »B«. Insofern war es ein Himmelfahrtskommando, was sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung am Dienstagabend vorgenommen hatte: Beobachtende »Euro-Maidan«-Teilnehmer aus dem Kunstfeld so zu Wort kommen zu lassen, dass die »Pluralitäten«, die Widersprüche und Aporien dieser Selbstermächtigung ins Zentrum geraten könnten.

»Prostory« - also »Räume« - heißt das halbjährliche Kunstmagazin, dessen aktuelle, englischsprachige Ausgabe »Documenting Maidan« die Redakteurinnen Yevgenia Belorusets, Nelia Vakhovska und Nataliya Tchermalykh vorstellten; und wer das durchweg poetisch-literarisch gehaltene Druckwerk liest, bekommt tatsächlich nahe gehende Eindrücke von der politischen Topografie und Topologie der Maidan-Bewegung. Sehr plastisch schildert etwa Nelia Vakhovska in einer Art Selbstinterview der Redaktion, wie sich die konkrete, unbarmherzig dichotome Räumlichkeit der Barrikaden, die nichts als ein »Davor« und ein »Dahinter« kennt, immer wieder über eine politische, im übertragenen Sinne verstandene Räumlichkeit legte: Während der Phasen der Konfrontation, der Schüsse, sei völlig klar gewesen, wo die Maidan-Front verläuft: Zwischen dem »Wir« der Demonstranten und dem Feind. Doch während der Phasen der »Waffenruhe«, schreibt Vakhovska, »konnte ich dort (auf dem Platz) für mich überhaupt keinen Raum finden«. Dann sprangen ihr nämlich die »misogynen, homophoben, xenophoben und populistischen Implikationen« des Protestes in konzentrierter Form ins Auge - bis zur jeweils nächsten Eskalation im Kampf des »Wir« gegen das »Sie«, der sich in den Barrikaden materialisiert hatte.

Wer jemals eine auch nur ansatzweise militante Demonstration aus der Nähe erlebt hat, kennt den archaischen Sog, der von solchen Situationen ausgeht. Militanz ist physio-psychische Politik. Sie mobilisiert zuerst die Körper und nicht die Köpfe. Eine Gruppe, die sich zu einem straßenkämpfenden »Wir« verbündet, erkennt sich selbst nicht anhand von Ideen, sondern in praktischer Intersubjektivität, also unwillkürlich und stumm - von Leib zu Leib. Militanz ist, auch das beschreibt das »Prostory«-Heft sehr genau, eine Revolte der Körper, eine primär leibliche Aufführung ausgreifender Mythologien von Licht und Finsternis, David und Goliath oder - wohl zeitgemäßer - von »Hobbits« und »Orks« aus »Herr der Ringe«. Zumal in einer politischen Kultur, von der Nataliya Tchermalykh schreibt, sie sei bis heute tief geprägt von einer mythischen, poetischen Sprache aus dem tiefsten 19. Jahrhundert.

Doch wenn sich dergestalt Bedeutungen nicht mental oder textlich vermitteln, sondern in actu - was heißt das dann hinsichtlich des Expliziten, der Parolen, der Symbole der Maidan-Bewegung? Aus der Teilnehmersicht der »Prostory«-Redakteurinnen hatten und haben dieselben noch keine feste Bedeutung. Das vielfach angerufene »Europa«, argumentierten sie am Dienstagabend, sei noch eine Leerformel, in der sich verschiedenste Hoffnungen diversester Akteure ausdrückten, eine Art Gefäß, das gemeinsam hochgehalten wird, aber noch auf Füllung wartet. Ein »leerer Signifikant«, wie der postmoderne Hegemonietheoretiker Ernesto Laclau formuliert.

An dieser Stelle allerdings wurde die Veranstaltung kontroverser. Denn wie steht es denn nun hinsichtlich der weltpolitischen Gretchenfrage nach dem Einfluss der Rechtsextremen auf die Maidan-Bewegung und das neue Regime? Die Nachfrage ließ nicht auf sich warten und prägte denn auch fast die ganze Diskussion - und wohl infolge der vermachteten Polarisierung, die über dieser Fragestellung liegt, verfielen die drei vom Maidan in eine emotionale Verteidigungshaltung. Was bedeutete es, wenn eine vieltausendköpfige Masse unter rechtsradikalen Fahnen stand? Was sagten die feindseligen Verse auf die »Moskaulinge«, die aus Rhetorik des Platzes kaum wegzudenken waren, über dessen Ziele?

Aus Sicht des Dienstagspodiums kann diese Anmutung zwar nicht geleugnet werden. Jedoch habe all das so gut wie keine Bedeutung. Den Leuten zwischen den Extremistenflaggen, hieß es recht apodiktisch, hätten die Symbole der Rechten wohl gar nichts gesagt. Attraktiv seien die Rechten nur wegen des Abenteuers, das sie versprechen. Im Grunde seien viele Parteigänger unpolitisch, trotz allen Stepan-Bandera-Geklingels. Eine der Referentinnen erzählte sogar von einem längeren Gespräch mit einem jungen Kämpfer vom Rechten Sektor - und natürlich entpuppte sich der aus der Nähe, in einem Lazarett der Maidan-Bewegung nämlich, als herzensguter junger Mann, der auch ganz anders orientiert sein könnte. Fast fühlte man sich an jenen Diskurs erinnert, der in den 1990er Jahren so oft in Deutschland aufgeführt wurde: Nazis? Wegen ein paar dummer Sprüche? Das sind doch unsere Jungs!

Das ist politisch und theoretisch naiv. Man kann bezweifeln, dass der »Signifikant« Maidan tatsächlich bar jeder Füllung ist oder das jemals war, weil es leere Inszenierungen nicht gibt. Bereits den Kämpferposen, den Leib-Leib-Politiken des Heroismus, der nach Wochen der Militanz tief eingekörperten Ernst-Jünger-Ästhetik der Straßenmilitanz wohnt unauslöschlich eine Richtung inne. Es scheint fast so, als hätten die teilnehmenden Beobachterinnen in dieser Frage nicht recht aus jener zweiten Haut gekonnt, die ihnen der Maidan wachsen ließ. Auf die konkrete Frage, ob die Rechten nach dem »Sieg« der »Revolution« auf dem Vormarsch oder Rückzug seien, gab es vom Podium denn auch die unterschiedlichsten Meinungen.

Erstaunlich einhellig fiel dagegen die Analyse zum Osten der Ukraine aus, zur Krim, wo just an dem Abend des Vortrages viele auf Russland anstießen. Es habe nie ein Problem mit der Krim gegeben, das Referendum sei illegal. Die Russen im Osten, hieß es in einem emotionalen Tonfall, seien Opfer von »Putins Propaganda«. Kurzzeitig entstand eine Stimmung im Rosa-Luxemburg-Salon, in der man keine Lust verspüren konnte, sich etwa als ostukrainisch verbunden zu outen.

Dass es auch dort einen, wenn zum Glück auch kürzeren und weit weniger blutigen Moment der Selbstermächtigung gegeben haben könnte, als nicht nur Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, sondern auch Krankenschwestern und Lehrer ihrerseits die Rathäuser stürmten, wurde nicht in Betracht gezogen. In dieser Hinsicht ist das Vorhaben des Heftes, nämlich die verborgenen Lagen des Maidan zu zeigen, gescheitert.

Man kann das Menschen, die Schusswechsel gesehen haben, wohl eigentlich auch nicht vorwerfen. Doch Heft und Redaktion sind außerstande, sich den Maidan von Simferopol oder Charkow aus vorzustellen - dass es dort einen Moment gab, ab dem sich viele schon von dem Gitterzeichen vor dem »Euro«-Hashtag auf Twitter an die Maschen des Zauns erinnert fühlten, der bei einem Sieg des Platzes unweigerlich durch die heute grüne russisch-ukrainische Grenze gezogen werden würde. Dass es dort Familien gibt, die seit Weihnachten überlegen, auf welcher Seite des Stacheldrahts zwischen NATO/EU-Ukraine und Russland nun die Babuschka stationiert werden soll.

Die Anrufung eines »leeren Signifikanten«, auch das steht bei Laclau, schafft immer auch ein Komplement. Jeder Ruf nach »Europa«, würde der Theoretiker schreiben, barg notwendig auch die gegenteilige Zuschreibung des »Asiatischen« für die Russen, weil es kein »Wir« ohne ein »Die« geben kann.

Oft fiel am Dienstag das Modewort »postkolonial«. Doch dass genau jene Charakterisierung des Russen als dumm und manipulierbar, die sich durch den Abend zog, zumindest in Deutschland der Inbegriff des Postkolonialen ist, schien Podium und Publikum nicht aufzufallen.

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