Du siehst mich nicht!

Timoschenko, Erdogan, YouTube und Twitter

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Rebellionen in den arabischen Staaten sind im hiesigen öffentlichen Bewusstsein als sogenannte Twitter-Revolutionen gespeichert. In dieser Auffassung liegt ein geistiges Verlangen verborgen - es möge doch eine Sphäre in dieser Welt geben, die zuallererst idealistisch ist und nicht den schnöden Gesetzen der Ökonomie oder den fiesen Strategien der politischen Intrige folgt. Google, Twitter, YouTube aber sind in erster (und in einziger Linie!) Wirtschaftsunternehmen - und damit ihrem Geschäft verpflichtet. Zu meinen, die digitalen Medien wären leere Gefäße, die nur durch den richtigen Geist gefüllt werden müssten, um sie einer wie auch immer gearteten guten Sache dienstbar zu machen, ist reichlich naiv. Auch in der analogen Welt früherer Tage hatte die Pressefreiheit ihren Ursprung nicht im Willen des Autors, alles veröffentlichen zu dürfen, sondern bestand in der »Preßfreiheit«, der Freiheit der Verleger, die Ware Zeitung bzw. Buch verkaufen zu dürfen.

Das als Vorbemerkung. Anfang der Woche wurde auf der Videoplattform YouTube im Internet ein Telefonmittschnitt veröffentlicht, in dem zu hören ist, wie die ukrainische Politikerin Julia Timoschenko den russischen Präsidenten Wladimir Putin als »Bastard« beschimpft, den sie höchstselbst erschießen möchte, und ankündigt, sich dafür einzusetzen, dass »von Russland nicht einmal ein verbranntes Feld übrig bleibt«. Timoschenko bestätigte zwar die Echtheit des Gesprächs, meinte allerdings, der russische Geheimdienst FSB habe den Mitschnitt zu ihren Ungunsten manipuliert.

YouTube ist in der Ukraine nach wie vor ohne Einschränkung empfangbar. Man liegt wohl nicht falsch zu vermuten, dass das daran liegt, dass Timoschenko bislang nur Kandidatin für das Amt des künftigen ukrainischen Präsidenten ist und somit noch nicht über die Macht verfügt, die Videoplattform in der Ukraine sperren zu lassen.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat selbiges am Donnerstag dieser Woche angeordnet. Offiziell, weil auf YouTube zu hören war, wie Mitglieder der Regierung in Ankara über einen möglichen Einsatz des türkischen Militärs im Nachbarland Syrien sprachen. Hierdurch, so Erdogan, werde die nationale Sicherheit des Landes gefährdet. Wenige Tage davor ordnete er aus ähnlichen Gründen an, die Facebook-Tochter Twitter in der Türkei zu sperren. Über den Kurznachrichtendienst waren in der jüngsten Vergangenheit immer wieder Meldungen über Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung Erdogans verbreitet worden.

Bei der Wortwahl, mit der dieser Vorgang betrachtet wird, ist allerdings aufmerksames Beobachten und sprachliche Genauigkeit angebracht. Im Übergang von der analogen zur digitalen Welt, in der sich die berühmten »kommunizierenden Röhren« zu einem Netzwerk auch sprachlich erst verbinden müssen, wird manches falsch verstanden. Das PEN-Zentrum Deutschland teilte am gestrigen Freitag mit, dass eine Gruppe von Schriftstellern »gegen die Beschränkung der freien Meinungsäußerung in der Türkei« protestiere und eine »sofortige Aufhebung des Twitter- und YouTube-Verbotes« fordere.

In der Formulierung dieses Aufrufes liegt sowohl Richtiges wie Falsches. Richtig ist, dass Erdogan versucht, die freie Meinungsäußerung zu beschränken, falsch ist jedoch, dass Twitter und YouTube verboten wurden. Anders als das Verbot des Druckens von Büchern in der analogen Welt, was unweigerlich dazu führte, dass Meinungen und Informationen (zumindest für eine gewisse Zeit) verschwanden, verschwinden in der digitalen Welt Meinungen und Informationen nicht - sie sind auf Umwegen immerfort auffindbar. Erdogans Verhalten gleicht dem Verhalten eines kleinen Kindes, dass sich die Hand vor die Augen hält und ruft: Du siehst mich nicht! Mit dem Unterschied, dass die Hände Erdogans nicht ausreichen, um den Seinen die Augen zu verschließen.

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