Für jeden Häftling 65 Euro

Im Abschiebegefängnis Berlin-Grünau werden zunehmend Flüchtlinge aus anderen Bundesländern untergebracht

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Zeiten, in denen lediglich einer oder höchstens eine Handvoll Menschen im Abschiebeknast Grünau einsaßen, sind vorbei. Seit Dezember letzten Jahres werden dort deutlich mehr Menschen verwahrt.

Derzeit gibt die Innenverwaltung die Zahl der Insassen im Abschiebegefängnis in Berlin-Grünau mit 17 an. Im Durchschnitt waren es in diesem Jahr bisher zwischen 17 und 20. Bei 214 Haftplätzen bleibt die Auslastung damit trotz des Anstieges mit acht Prozent niedrig. Die höhere Zahl liegt allerdings nicht daran, dass Berlin öfter Abschiebehaft verhängt. Vielmehr hat Innensenator Frank Henkel (CDU) auf der letzten Innenministerkonferenz im November anderen Bundesländern Haftplätze in Grünau angeboten. Hintergrund ist, dass es in etwa zwei Dritteln der Bundesländer keine Abschiebeknäste gibt. Dort werden Abschiebegefangene mangels Alternativen in Justizvollzugsanstalten gesteckt. Das aber ist nach einer neuen EU-Verordnung nicht mehr zulässig. Wegen der Rechtswidrigkeit konnten sich Abschiebegefangene aus Bayern, Sachsen und Niedersachsen schon in die Freiheit klagen.

In normalen Gefängnissen haben Gefangene nicht, wie in Grünau, das Recht, jederzeit innerhalb des Gebäudes hin- und herzulaufen, sich selbst Essen zu kochen, zu telefonieren oder das Internet zu benutzen. Auch der Hofgang wird im Abschiebeknast großzügiger gewährt als in Justizvollzugsanstalten. Abschiebehaft ist keine Strafhaft und soll laut EU-Recht «normales Leben minus Freiheit» sein. Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern machen von Henkels Angebot Gebrauch. Von den 17 derzeitigen Insassen kommt nur einer aus Berlin. Elf kommen aus Sachsen und fünf aus Mecklenburg-Vorpommern. Den Seelsorgern in Grünau zufolge sei das nicht nur eine Momentaufnahme. Seit Dezember stellen Inhaftierte aus diesen Bundesländern die große Mehrheit in Grünau.

Bringt die Inhaftierung von Abschiebegefangenen aus dem Bundesgebiet Berlin Vor- oder Nachteile? Für die Landeskasse rechnet sich das. Denn zahlen muss, wer den Haftantrag stellt, also die Bundespolizei oder die Bundesländer Sachsen bzw. Mecklenburg-Vorpommern. Ein Hafttag in Grünau schlägt immerhin mit 65 Euro zu Buche. Das ist für Berlin offensichtlich so attraktiv, dass die Schließungspläne für den Abschiebeknast Grünau gerade überdacht werden. «Die Prüfung ist jedoch noch nicht abgeschlossen», erklärt eine Sprecherin der Innenverwaltung. Man prüfe Kooperationen nicht mehr nur mit Brandenburg wie in den vergangenen Jahren, sondern auch mit «einem erweiterten Kreis von Bundesländern.

Dabei gerät der im Vorjahr präferierte Standort Eisenhüttenstadt für einen gemeinsamen Abschiebeknast zwischen Berlin und Brandenburg ins Hintertreffen. Der Bau in der Oderstadt ist zwar neuer, die Lage aber abgeschieden. Das wollte Brandenburg in den letzten Jahren nicht wahrhaben und hat das »moderne« Knastgemäuer den Hauptstädtern gepriesen. Doch anders als in Berlin gibt es in Brandenburg derzeit fast keine Abschiebegefangene aus anderen Bundesländern. Von den dort derzeit zehn einsitzenden Männern kommen neun aus Brandenburg, nur einer aus Sachsen. Und das, obwohl die Haftkosten in Brandenburg deutlich billiger sind. Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ist der Weg nach Eisenhüttenstadt aber offensichtlich zu weit. Für die Insassen hat die Haft in Berlin Vor- und Nachteile. Der katholische Haftseelsorger Ludger Hillebrandt weist darauf hin, dass es in Berlin öfter als in anderen Bundesländern gelingt, Gefangene wieder freizubekommen, wenn die Haftanträge rechtswidrig waren. »Das liegt an der großen Zahl der hier ansässigen Anwälte, die im Ausländerrecht erfahren sind.« Erfahrungen zeigen, dass zwei Drittel derjenigen, die über einen Rechtshilfefonds der Jesuiten den Haftantrag anfechten, auch freikommen.

Negativ schlagen weite Wege für Besuche von Verwandten zubuche. Die Abgeordnete Canan Bayram (Grüne) weist auf die Trennung der Gefangenen von ihren Familien hin: »Mir sind Fälle bekannt, wo Teile der Familie im Berliner Abschiebeknast saßen, andere hingegen in Sachsen wohnten und niemand wusste, wo der andere Familienteil ist.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!