Wahlschlappe für die Taliban
Abstimmung über einen neuen Präsidenten Afghanistans wird als Erfolg gewertet
In der Hauptstadt Kabul bildeten sich vor manchen Wahllokalen schier endlose Schlangen. Menschenmassen warteten bei Wind und Regen im Freien, um ihre Wahlzettel in die Urnen einzuwerfen.
Im Großen und Ganzen wird die Wahl als Erfolg gewertet. Dies liegt vor allem an der Tatsache, dass sie weit weniger gewalttätig verlief als zuvor befürchtet. Anschläge der Taliban, die vor allem in den Wochen zuvor landesweit und auch im als sicher geltenden Kabul für Unruhe sorgten, hielten sich in Grenzen. Afghanistans Präsident Hamid Karsai sprach von einem historischen Tag: »Heute haben wir der Welt bewiesen, dass das afghanische Volk dieses Land führt.« Laut der unabhängigen Wahlkommission des Landes lag die Wahlbeteiligung bei rund 58 Prozent. Besonders gelobt wurde die Tatsache, dass auch viele Frauen ihre Stimme abgegeben haben.
Seitens der Taliban sah die Berichterstattung anders aus. Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahed, der in Stellungnahmen die Präsidentschaftswahlen immer wieder als »Betrüger-Wahlen« bezeichnete, sprach am Samstagmittag bereits von über 200 Anschlägen, die die Aufständischen landesweit verübt hätten. 24 Stunden später teilte Mujahed mehr als 1000 Anschläge mit. Bezüglich der Anzahl von Angriffen sind die afghanischen Medien gespalten. Manche schreiben lediglich von 140 Anschlägen, andere von über 600. Es gab mehrere Tote. Währenddessen wollten die Taliban weiterhin den Eindruck erwecken, dass sie die Kontrolle im Land haben, indem sie unter anderem behaupteten, die Mehrzahl der Wahllokale hätte aus Angst geschlossen. Nach Angaben der Wahlkommission blieben lediglich rund 200 der über 6000 Wahllokale ungeöffnet. Aufgrund des Wählerandrangs mussten manche ihre Pforten sogar länger offen lassen.
Nichtsdestotrotz kam es zu Unregelmäßigkeiten. Augenzeugenberichten zufolge sollen Wähler mehr als ein Mal ihre Stimme abgegeben haben. Währenddessen hatten Bürger auch gar keine Wahlkarten und konnten deshalb nicht abstimmen. Manche Personen nutzten diese Situation aus und machten ein regelrechtes Geschäft daraus, indem sie zu hohen Preisen ihre Wahlkarten an Dritte verkauften. In einigen Landesteilen sollen auch Soldaten der afghanischen Nationalarmee sowie Sicherheitskräfte die Wahlen sowie die Berichterstattung über diese gestört haben. In der Provinz Nangarhar wurde unter anderem ein lokaler Journalist verprügelt und in Haft genommen. In von Milizen kontrollierten Provinzen wurden teils nur jene Stimmen akzeptiert, die der politischen Gesinnung der jeweiligen Warlords entsprachen.
Konkrete Wahlergebnisse sind erst in den kommenden Wochen zu erwarten. Nichtsdestotrotz kursieren schon Prozentzahlen, die wahrscheinlich auf diversen Umfragen beruhen. Laut diesen Zahlen ist der paschtunische Anthropologie-Professor, ehemalige Weltbankmitarbeiter sowie Ex-Finanzminister Afghanistans, Ashraf Ghani Ahmadzai, mit über 40 Prozent in Führung. Allerdings sollte man berücksichtigen, dass gegenwärtige Zahlen und Statistiken eher wenig zum endgültigen Ergebnis aussagen können und daher mit Vorsicht zu genießen sind.
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