Offener Posten
Tom Strohschneider über die Erinnerung an den Herbst 1989
Es ist ein richtiger Ansatz, beim Gedenken an die Wende von 1989 die Montagsdemos aus dem Schatten der Übersymbole »Mauerfall« und »Wiedervereinigung« zu holen. Nicht nur, weil es erst der einen bedurfte, damit das andere geschehen konnte. Sondern weil diese Akzentverschiebung im Erinnern den Blick wieder auf Motive der »friedlichen Revolution« lenken könnte, die im öffentlichen Erinnern über Jahrzehnte an den Rand gedrängt waren.
Es gibt über die Wende einen klugen Satz von Hans-Jochen Tschiche: »Wir waren die Türöffner, andere aber haben die Politik gemacht.« Der Bürgerrechtler und spätere Grünen-Politiker hat damit die Verzerrung in der bundesdeutschen Erzählung der Wende markiert: In ihr galt - wie bei anderen selbst ernannten Siegern der Geschichte auch - stets vor allem das als gedenkwürdig, was mit den jeweils gegenwärtigen Verhältnissen gut vereinbar war. Und so wurde das Aufbegehren in der DDR auf den Nenner einer nationalen Freiheits- und Einheitsbewegung reduziert.
Doch ein großer Teil der zunächst kleinen Opposition in der DDR und ja: auch in der SED wollte anderes, wollte mehr: einen Dritten Weg, ökologischen Umbau, radikale Demokratisierung und und und. Der Wendeherbst war zunächst von einer historischen Offenheit geprägt, die noch heute Gänsehaut macht. Auch, weil vieles, das damals als Alternative zur Debatte stand, noch immer ein politisch offener Posten ist. Es lebte ein utopisches, ja: ein linkes Moment in diesen Wochen - und die Montagsdemos waren davon sichtbarster Ausdruck.
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