Gysi für föderative Struktur der Ukraine

Linkenpolitiker vor den Osteraktionen: Es ist höchst aktuell, für Frieden und gegen NATO-Politik zu demonstrieren / Schusswechsel in der Ostukraine / Putin telefoniert mit Merkel und Ban

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Der Vorsitzende der Linksfraktion, Gregor Gysi, hat es vor dem Hintergrund der Eskalation in der Ostukraine als »sehr vernünftig« bezeichnet, »wegen der unterschiedlichen Geschichte eine föderative Struktur für die Ost- und die West-Ukraine einzuführen«. Wenn zudem gewollt sei, »dass Russland seine Truppen von der ukrainischen Grenze zurückzieht, muss die NATO die Verlegung von Truppen, Panzern und Flugzeugen nach Osteuropa ebenso stoppen wie die Pläne zur Durchführung zusätzlicher Manöver. Außerdem muss die Gewalt in der Ukraine von beiden Seiten unverzüglich beendet werden«, sagte der Linkenpolitiker. Auch der Bundesgeschäftsführer der Linken, Matthias Höhn, forderte alle Akteure zur Mäßigung auf, um weiteres Blutvergießen und eine Eskalation der Lage zu verhindern.

In einem Interview sagte Gysi zudem, es gebe »in diesem Jahr allen Grund, wieder verstärkt für den Frieden weltweit zu demonstrieren«. Er verwies darauf, dass Mitglieder der Bundesregierung und der Bundespräsident proklamiert hätten, »die außenpolitische Zurückhaltung endlich aufzugeben und auch die militärische Karte, mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr, zu spielen«. Außerdem sei es »höchst aktuell, entschieden dagegen zu demonstrieren, dass die NATO nach 1990 zu einem Interventionsbündnis ausgebaut wurde«. Gysi vewies auf die Krim-Krise und nannte es wichtig, auch mit Protesten »die Diplomatie zu stärken, um eine friedliche Lösung des Konflikts in und um die Ukraine zu erreichen«.

Gysi pochte zudem darauf, dass »wenigstens die Reste der Glaubwürdigkeit gesichert« würden. »Bei den Demonstrationen auf dem Maidan wurde der demokratische Charakter nie bezweifelt, auch nicht als Rathäuser, Ministerien und andere Einrichtungen besetzt wurden. Selbst die Abwahl des Präsidenten fand in Anwesenheit bewaffneter Männer statt. Wenn jetzt die aufgebrachte russischsprechende Bevölkerung in der Ost-Ukraine Rathäuser und Verwaltungen besetzt, soll es sich plötzlich um Terror handeln? In Kiew wurde immer vor der Anwendung polizeilicher Gewalt durch den Westen gewarnt, jetzt aber nicht mehr«, kritisierte er. »Russische Medien unterstellten beim Maidan, dass Demonstrantinnen und Demonstranten von der US-Regierung animiert und bezahlt wurden. Das wurde als russische Propaganda abgetan. Nun aber behauptet die US-Regierung, dass die aufgebrachten Menschen im Osten der Ukraine von Russland animiert und bezahlt werden.« Gysi weiter: »Wem soll man hier eigentlich noch was glauben?«

Zuvor war es zu Schusswechseln zwischen ukrainischen Einheiten und moskautreuen Aktivisten in der Nähe der Städte Kramatorsk und Slawjansk im Verwaltungsgebiet Donezk gekommen. Nach schweren Gefechten hätten Regierungseinheiten den Flugplatz von Kramatorsk unter ihre Kontrolle gebracht, sagte ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow. Das russische Staatsfernsehen berichtete von mindestens vier Toten. Die moskautreuen Aktivisten sprachen von einem Verletzten in ihren Reihen. Eine offizielle Bestätigung für die Opferzahlen gab es zunächst nicht.

Russland hatte am Dienstagabend nach dem Beginn der Offensive gegen prorussische Kräfte in der Ostukraine vor einer gefährlichen Zuspitzung der Krise gewarnt. Der so genannte Anti-Terror-Einsatz habe das Land an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht, sagte Präsident Wladimir Putin nach Angaben der Regierung in Moskau am Dienstagabend in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Aus dem Bundespresseamt hieß es zu dem Gespräch zwischen Putin und Merkel, die Situation in der Ukraine sei ausführlich erörtert worden. Bei aller unterschiedlichen Bewertung der Ereignisse habe die Vorbereitung des Treffens in Genf im Mittelpunkt gestanden. Dort wollen die Außenminister Russlands, der USA und der Ukraine zusammen mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton über Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung der Krise beraten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier appellierte an die Teilnehmer, das Treffen zu nutzen. »Ein Scheitern ist nicht erlaubt«, sagte er der »Rheinischen Post«.

Auch in einem Gespräch mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte der Kremlchef den zuvor gestarteten Einsatz ukrainischer Truppen. Moskau warnte vor einem Scheitern der für Donnerstag geplanten Krisengespräche in Genf. Putin forderte laut Kreml von UN-Generalsekretär Ban, die Vereinten Nationen müssten das »verfassungswidrige Vorgehen« der Machthaber in Kiew verurteilen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach bei einem Besuch in Peking von einer »Verletzung ukrainischer Rechtsnormen und des Völkerrechts«. China zeigte sich über die Eskalation besorgt und rief alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Vizeaußenminister Li Baodong sprach am Mittwoch von einer »unglückliche Entwicklung«. China setze sich für einen internationalen Kooperationsmechanismus ein, sagte Li Baodong mit Blick auf den Genfer Krisengipfel. Agenturen/nd

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