Hinter Hecken, aus der Zeit
Nahezu unberührt hat im thüringischen Berkach ein jüdischer Friedhof die Zeit seit 1933 überstanden
Die Stimmen der Feldlerchen schwirren in der Luft, in Sichtweite steht ein Wachturm. Der Friedhof der jüdischen Gemeinde Berkach liegt im ehemaligen Grenzgebiet, versteckt hinter Hecken. Es ist ein Ort, wie aus der Zeit gefallen. Nahezu unberührt hat der Friedhof das Dritte Reich überstanden, den Judenhass, die Vernichtung jüdischer Kultur.
Hier, außerhalb des Dorfes, begruben jüdische Familien ihre Toten wie es Brauch war. In mehreren Reihen stehen weit über 100 Grabsteine unter großen Laubbäumen dicht beieinander. Der einzige Schmuck sind die Namen und hebräische Inschriften an der Ostseite. Berkach gehörte neben Bauerbach und Bibra zu den Dörfern, in denen sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts viele Juden ansiedelten. Zweihundert Jahre später gehörte allein in Berkach ein Drittel der Einwohnerschaft zur jüdischen Gemeinde.
Ein Schild in der Ortsmitte weist auf die Synagoge hin, die in einer Reihe von Häusern steht. Auffällig an dem schlichten Bau sind vor allem die schmalen hohen Fenster, die von Lisenen, also Baublenden, unterbrochen werden. Das aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammende Gebäude überstand das Novemberpogrom 1938 unbeschadet. Nach mehreren Besitzerwechseln und unterschiedlichen Funktionen richtete zu DDR-Zeiten dort die örtliche LPG eine Schmiede ein. In den 1990er Jahren erfolgte der Rückbau in den Urzustand.
Singh Khalsa, der sich seit zehn Jahren um das jüdische Erbe kümmert und dem Verein »Grabfelder Bildungs- und Begegnungsstätte Berkach« vorsteht, erzählt, dass das Nachbarhaus früher die jüdische Schule gewesen ist, ausgestattet mit einem Klassenraum unten und der Lehrerwohnung darüber. Khalsa kam nach 1990 aus Irland nach Thüringen, um mit anderen einen heruntergekommenen Gutshof wiederaufzubauen und zu bewirtschaften.
Eine Tafel an der Schule erinnert an einen besonders prominenten Lehrer, der sich als Kantor weit über Deutschland hinaus einen Namen gemacht hat: Hermann Ehrlich (1815-1879). Als Herausgeber der »Lithurgischen Zeitschrift« setzte er sich für die »Veredelung des Synagogengesanges mit Berücksichtigung des ganzen Synagogenwesens« ein. Zur Weihe der Bekacher Synagoge sorgte Ehrlich 1854 für eine Einweihungsordnung.
Eine von den bei diesem Zeremoniell in die Synagoge getragenen Thorarollen existiert noch. Wenige Wochen vor der Pogromnacht wanderte der Berkacher Lothar Goldschmidt mit dem letzten Teil der hebräischen Bibel in die USA aus. Heute wird die Thorarolle in Orlando (Florida) aufbewahrt. Singh Khalsa führt durch zwei uralte Bauerhöfe in direkter Nachbarschaft der Synagoge, die Eigentum des Vereins sind. Gemeinsam mit den jüdischen Stätten gehören sie zum Projekt »Franco-Judaicum im Grünen Band«, an dem neben dem Verein auch die Jüdische Landesgemeinde Thüringen sowie die Gemeinde Grabfeld und weitere Institutionen beteiligt sind. Hier soll ein Zentrum für das Miteinander von jüdischen und nichtjüdischen Deutschen entstehen und an die Zeit erinnert werden, als das in Berkach noch Alltag war.
Mitte des 19. Jahrhunderts lebten Juden als Händler von Vieh und Waren aller Art unter den angestammten Bauern. Es war für die Bewohner des Ortes selbstverständlich, dass ihre jüdischen Nachbarn an den Samstagen Schabbes feierten und hebräische Gesänge aus der Synagoge den Ort erfüllten. Über einen Bauernhof gelangten die Gemeindemitglieder zur Mikwe, einem rituellen Tauchbad, das der geistigen Reinigung diente. Dieses aus Feldsteinen bestehende Badehaus hat sich auch erhalten. Über dem Eingang findet sich ein Hinweis auf den Erbauer: »Samuel Isagk, Barnes 1838«, im Innern ist der Raum mit Ziegeln ausgelegt. In das Bad, das immer mit lebendigem Wasser - sprich Quellwasser - gefüllt sein musste, gelangt man über eine Treppe.
Von einigen Bekacher Bürgern gibt es Zeitzeugenberichte über ihre Erinnerung an das Zusammenleben mit jüdischen Familien. Bis in die 1930er Jahre hinein gab es eine große gegenseitige Akzeptanz. Doch nach und nach etablierte sich das Terrorregime. Mehrfach wurden jüdische Familien Opfer von Gewaltaktionen und Verhaftungen. Die letzten Mitglieder der Gemeinde wurden im September 1942 abgeholt und in Vernichtungslager deportiert. Eine Geschichte, die sich tief in das kollektive Gedächtnis des Dorfes eingebrannt hat. Seit 1990 kommen Nachfahren der Berkacher Juden vor allem aus den USA, um etwas über ihre Familien zu erfahren. Sie suchen nach ihren Wurzeln im Grabfeld.
Das Zentrum, das »Franco-Judaicum in Grünen Band«, an dessen Werden Singh Khalsa mit seinen Mitstreitern kontinuierlich arbeitet, will eine Brücke bauen. Es soll helfen, das Vergangene zu verstehen und Menschen wieder zusammenzubringen. In wenigen Wochen, am 1. Juni, wird die Synagoge 160 Jahre alt. Anlässlich dieses Festes wird Musik des einstigen Dorflehrers und Synagogalkantors Hermann Ehrlich aufgeführt. In Berkach erklingen wieder hebräische Gesänge.
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