Sieben Tage, sieben Sünden

Was uns an ihren Lastern interessiert? Das haben wir uns auch gefragt: Ein Wochen-nd über die Sünde

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie mögen sich fragen, was eine linke Tageszeitung mit Sünden zu schaffen hat? Da wäre natürlich erstens die uns bestärkende Tatsache, dass »neues deutschland« manchem als der Inbegriff des politisch Sündhaften gilt. Entweder zu viel Revolution - oder zu viel Reformismus. Sie glauben ja gar nicht, was man so für Briefe erhält!

Zweitens könnte man sich an dieser Stelle ebenso ausführlich wie spekulativ Überlegungen hingeben, wie es um die Sündenpraxis der lieben Kollegen bestellt ist. Das tun wir natürlich nicht, nicht einmal mit einem klitzekleinen und gut versteckten Hinweis über, sagen wir … Nein, sagen wir nicht. Schließlich mahnt uns die Arbeit täglich, welchen Stellenwert zum Beispiel die Persönlichkeitsrechte haben. Sie glauben ja nicht, wie viele Anwälte unsere Adresse kennen!

In der Rangfolge auf Platz drei könnte hier der völlig sündenfreie Gedanke stehen, in einem sozialistischen Blatt müsse die für Religionskritik zuständige Abteilung gleich nach der für die Arbeiterkultur die an Reportern, Fachleuten, Autoren größte sein. Ist sie aber nicht, auch wenn »das Opium des Volkes« auf seine Weise eine Todsünde darstellen dürfte, jedenfalls aus dem Blickwinkel revolutionärer Abstinenz. Schreiben Sie jetzt bitte nicht, wir seien zu reformistisch!

Ohnehin sind wir, viertens, täglich noch mit ganz anderen Sünden konfrontiert. Sie glauben ja nicht, was so alles eine Sünde ist oder so heißt? Doping-Sünder, Defizit-Sünder, Rot-Sünder, Handy-Sünder, Mindestlohn-Sünder, Tempo-Sünder, Sotschi-Sünder. Nur Sünder-Sünder gab es diese Woche nicht.

Fünftens regen wir uns in so einer linken Zeitung gern darüber auf, wenn Angelegenheiten als »Sünde« bezeichnet werden, die eigentlich Schweinereien sind und auch so heißen sollten. Nicht was Sie jetzt vielleicht denken, sondern zum Beispiel die offenbar unverwüstliche Verniedlichung asozialen Verhaltens von Millionären als »Steuersünderei«.

Was uns, sechstens, beim Sündenthema vor allem anderen die Hand führte, uns anstiftete, motivierte, war selbstverständlich: eine schöne Osterausgabe für unsere Leserinnen und Leser zu machen. Haben Sie Spaß bei der Lektüre und auch sonst - je nach Wunsch - sündhafte oder sündenfreie Feiertage!

Stopp. Es fehlt natürlich in einem Wochen-nd über die Todsünden an dieser Stelle noch ein »Siebtens«: In Aldous Huxleys »Schöne neue Welt«, in der die Herrschaft so total ist wie das Glück genormt, sich Menschen mit »Soma« ruhigstellen lassen und Individualismus als asozial gilt, sagt einer der Außenseiter, der Rebellen, der »Wilden« des Romans: »Ich brauche keine Bequemlichkeit. Ich will Gott, ich will Poesie, ich will wirkliche Gefahren und Freiheit und Tugend. Ich will Sünde!« So schlecht kann diese also gar nicht sein.

Lauter Laster

Ohne ordentliche Sünde bringt das ganze Beichten nichts
Frido Mann über das Versagen der Religion und die Achterbahnfahrt seines Lebens. Ein Gespräch - hier

Sünder, such dir einen Job!
Über Denkfaulheit, Gerhard Schröder und glückliche Arbeitslose - ein Treffen mit Guillaume Paoli - hier

Leiden nach dem Höhepunkt
Der Sexualmediziner Hartmut Bosinski im Gespräch über Menschen, die jeden Tag zum Orgasmus kommen müssen - hier

Gelage auf den Barrikaden
Rainer Balcerowiak erklärt, warum es ohne Genussfähigkeit keine soziale Umwälzung geben wird - hier

Triebfeder des Kapitalismus
Warum »gierige« Banker nicht das Problem sind, sondern das System - hier

Gerunzelte Stirn, aufgerissene Augen
Kathrin Zinkant auf der Suche nach den Wurzeln des Zorns in unserem Kopf - hier

Göttliches Wutmonopol
Das Zornverbot war immer ein Kritikverbot, meint Velten Schäfer - hier

Wer, wenn nicht ich
Fehlende Konkurrenz macht hochmütig: Sarah Liebigt über Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit - hier

»Wenn der so damit rumfuchtelt ...«
Wir haben sieben Kinder gefragt, ob sie neidisch sind - hier

Im Netzwerk des Neides
Grit Gernhardt über das asoziale Internet - hier

Champagner? Klassenverrat!
Die sieben Todsünden der Linken - hier

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -