Freihandel tötet

Stefan Meretz über den Zusammenhang von Freihandelszone und Klimaveränderungen

  • Lesedauer: 3 Min.

Das geplante Abkommen über eine transatlantische Freihandelszone TTIP wird vorbereitet. Der UN-Klimarat IPCC legte einen weiteren Teilbericht über die Folgen der Klimaveränderungen vor. Was hat beides miteinander zu tun?

Freihandel bedeutet, staatliche Eingriffe und Regeln zu minimieren. Alles, was den Handel bremst, seien Hemmnisse, die abgeschafft gehörten. Im Falle des TTIP sollen jeweils die niedrigsten Standards für Arbeitsschutz, Lebensmittelqualität, Bankenaufsicht etc. gelten. Viele befürchten, dass mit dem TTIP Chlor-Hühner, Gen-Lebensmittel und Fracking auch in Europa Einzug halten, während in den USA lasche EU-Bankenregeln die schärferen US-Vorschriften ersetzen könnten. Waren sollen schneller hin und her fließen. Die Begründung lautet gebetsmühlenartig: Wachstum, Wohlstand, Arbeitsplätze.

Nach dem neuen Teilbericht des UN-Klimarats häufen sich die Dürre- und Hitzeperioden, Unwetter werden verheerender, die Ozeane versauern - mit erheblichen negativen Folgen für die Welternährung. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Treibhausgas-Emissionen. Vom ursprünglichen Ziel, den CO2-Ausstoß um 25 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken, ist die Weltgemeinschaft weit entfernt. 2013 wurde ein neuer Rekordwert erzielt, der 2,1 Prozent über dem des Vorjahres lag. Im Vergleich zu 1990 sind die Emissionen um 61 Prozent gestiegen. Dabei wäre die Reduktion auf einen Stand unter dem von 1990 dringend erforderlich, um den globalen Temperaturanstieg auf 2 ° C zu begrenzen. Geht es weiter wie bisher, dann landen wir bei rund 4 ° C Zunahme bis zum Jahr 2100.

Obwohl vielfach ignoriert, stehen beide Prozesse - Freihandel und Klimaerwärmung - in direkter Verbindung zueinander. Mehr Handel und Wachstum bedeuten höheren Energie- und Ressourcenverbrauch und damit mehr Treibhausgas-Emissionen. Diese treiben den zu erwartenden Temperaturanstieg nach oben, und bereits jetzt können wir eine Zunahme der Intensität von Unwettern beobachten, von denen immer mehr Menschen betroffen sind. Doch das sind nur die zarten Anfänge. Steigt erst der Meeresspiegel, werden Millionen Menschen ihre Existenzgrundlagen verlieren. Die Länder des globalen Südens sind davon besonders betroffen. Freihandel tötet - auf lange Sicht.

Trotzdem ist die Ideologie des Wachstums ungebrochen. Sie kommt inzwischen als »Green New Deal« im grünen Kleid daher. Neue Technologien sollen Energie sparen. Doch nur auf den Verbrauch zu schauen, verkennt das Problem, denn die Herstellung neuer, sparsamerer Geräte verschlingt ein Vielfaches der eingesparten Energie und Ressourcen - ein Bumerang-Effekt. Das ist auch logisch, muss doch der Kapitalismus stets wachsen, um zu überleben. Fehlendes Wachstum hat einen Namen: Krise. Paradoxerweise waren es einzig Krisen, die gut für die Umwelt waren: Nur dann gingen etwa die CO2-Emissionen zurück. Die sozialen Folgen waren und sind allerdings verheerend.

Ein System, dessen Optionen nur Pest oder Cholera, nur Umweltkatastrophe oder Sozialkatastrophe lauten, ist nicht reformierbar. Es ist allerdings auch nicht von heute auf morgen abschaffbar, sondern wir brauchen eine Strategie der geordneten Abwicklung des Kapitalismus bei gleichzeitigem Aufbau neuer resilienter Überlebens- und Produktionsstrukturen.

Die Elemente des Neuen können durchaus benannt werden: Statt Herstellung von Waren für den Verkauf Güterproduktion für die Bedürfnisse; statt globaler energiefressender Lieferketten von Wegwerfwaren relokalisierte geschlossene Kreisläufe von Gütern und Ressourcen; statt Trennung von Produktion und Konsum mit individualisiertem Massenkonsum gemeinschaftliche Herstellung und Nutzung der Güter, die wir wirklich brauchen; statt entfremdeter Warenproduktion Schöpfung der Lebensgrundlagen durch die Menschen selbst. Commons statt Kapitalismus.

Ist das überhaupt realistisch? Stellen wir die Gegenfragen: Ist es realistisch, dass die Menschheit mit kapitalistischem Zwangswachstum die Klimakatastrophe abwenden kann? Ist es realistisch, dass mehr von dem, was die Klima- und Sozialkrise erst erzeugte - Warenproduktion, Wirtschaftswachstum, Freihandel, - einen Ausweg bieten kann? Schon Einstein wusste: Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.

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